Erbe des Drachenblutes (German Edition)
Stimme in seinem Kopf, wie sie lachte oder mit ihm schimpfte. Nachts sah er ihr Gesicht, wie sie ihn anlächelte oder weinte. Er konnte es nicht mehr vor sich selbst verleugnen, sie hatte eine Saite bei ihm angeschlagen, die er für verloren gehalten hatte. »Mag sein«, antwortete er. »Ein Grund mehr, dass wir Sennus Nachtschatten und Cor Keto aufhalten müssen! Und dafür brauche ich deine Hilfe.«
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Mehrere Tage und Nächte flog der kleine Trupp der Greifenreiter gen Nordosten, die Wipfel der Bergkette des Ohemes deutlich vor Augen. An einem Abend am Lagerfeuer erzählte Salvatorus die Geschichte, wie die Bergkette zu ihrem Namen gekommen war. Nachdem der Gott Pontos gegen die Gesetze Gaias verstoßen und Gaia aus Wut und Gram ihre Kraft unkontrolliert in alle Richtungen ausgesandt hatte, traf einer der Lebensstrahlen eine Statue, die ihr Sohn Ohemes schon vor geraumer Zeit erschaffen hatte. Ohemes hatte die Statue aus Feuer und Stein geformt und sein eigenes Erscheinungsbild nachgeahmt, ohne den Plan gehabt zu haben, sie zum Leben zu erwecken, doch genau das war nun versehentlich geschehen. So war der erste Zwerg in Dra'Ira geboren worden, und Ohemes fand Gefallen an der Schöpfung. Er gab ihm den Namen Alrekr, der aus dem Stein geboren wurde. Selbst Gaia soll ihn mit Wohlwollen betrachtet haben, weshalb sie Ohemes gewährte, dem ersten Zwerg noch einige Gefährten zur Seite zu stellen, bevor alle Götter Dra'Ira verließen. Auch ihnen hauchte Gaia Leben ein. So folgten dem ersten Zwerg neunundneunzig weitere, die den Grundstein der Zwergenrasse darstellten. Die Zwerge haben das nie vergessen und ehrten ihre Schöpfer, indem sie ihre Heimat – die Berge – nach Ohemes benannten. Für Gaia wurden dafür unzählige Altare in den Bergfestungen erbaut, auf denen der Gottmutter noch heute mit frischen Blumen und anderen Gaben gehuldigt wird.
Bei der Erzählung war es Zados, der sich deutlich anmerken ließ, was er von der Geschichte hielt. »Einfältiger Mythos, nicht mehr«, war das Einzige, was er dazu sagte.
Mina wusste, dass Zados nichts von Götterlegenden hielt. Er wirkte in solchen Dingen eher rational, was sie tröstete. Sie war mit ihren kritischen Ansichten nicht alleine, dennoch war da etwas in Zados´ Verhalten, das ihr Sorgen bereitete: Er wirkte verbittert.
Mina genoss die erneute Reise mit den Greifenreitern. Hier draußen fühlte sie sich mit Dra'Ira im Reinen, anders als innerhalb der großen Stadt. Tagsüber flog die Gruppe auf den Schwingen des Windes, und nachts saßen sie gesellig beisammen und redeten. Und all das, ohne auf Gefahren zu stoßen, die den scheinbaren Frieden vertreiben konnten. Das Einzige, was ihr auf das Gemüt schlug, war die täglich fallende Temperatur. Das, und die Abwesenheit von Nirvan, die Mina jeden Abend am Lagerfeuer aufs Neue schmerzlich bewusst wurde. Dieser sture Magier hatte etwas, was sie gleichzeitig abstieß und anzog. Jeder, der ihre aufkommende Zuneigung zu ihm bemerkt hatte, behauptete, dass er nicht gut für sie sei. Aber es gab etwas an ihm, was den anderen anscheinend verborgen blieb, ihr aber bewusst war. Es war der Teil von ihm, der bei seltenen Gelegenheiten ohne Kummer lachen konnte, sich im Stillen nach Frieden im Herzen sehnte und stundenlang mit ihr über die Lichter des Himmels philosophieren konnte. Der Teil, der Mina klar gemacht hatte, dass sein abweisendes und oft kaltschnäuziges Verhalten nur eine Schutzfunktion war. Sie hatte das Gefühl, dass Nirvan wie ihre eigene Vergangenheit war: Etwas in ihm lag im Dunkeln, was die anderen nicht weiter beachteten, Mina aber förmlich anzog. Sie wollte seine guten Seiten für jedermann sichtbar hervorbringen, den anderen zeigen, was sie in ihm vermutete. Sie glaubte fest daran, dass er ein guter Mensch war, ein Mensch, der nur ein wenig Hilfe brauchte, um auf die rechte Spur zu geraten. Die Hilfe hatte sie ihm geben wollen, aber dann war er verschwunden …
Als sie am Fuß der Bergkette angekommen waren, erkannte Mina vor den ersten Bergausläufern ein kleines Dorf aus einfachen Hütten. Ein wolkenfreier, klarer Himmel breitete sich darüber aus. Es war ein friedvoller Anblick. Mina fragte Simon, ihren Greifenreiter, wie der Ort hieß, doch er zuckte nur mit den Schultern. »Es gibt so viele kleinere Siedlungen, die nie einen eigenen Namen erhalten haben. Sie kommen und gehen wie die Sommersonnenwende. Wenn sie nicht mindestens zwei Generationen am selben Ort verweilen, lohnt es sich
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