Erbe des Drachenblutes (German Edition)
hatte sie langsam und rollend hervorgebracht, als ob sie sich zuerst daran erinnern musste, wie man sprach. Mina fühlte sich ergriffen und fragte sich, was sie sagen sollte. So vieles gab es, war sie fragen wollte, doch nun fiel ihr nichts mehr ein. Der Moment war so einzigartig, dass sich ihr Kopf ganz leer anfühlte.
»Woher kennst du meinen Namen?«, fragte sie zögerlich.
Lian reckte sich, spannte ihren Körper und zuckte mit den Flügeln. Große Eisplatten fielen zu Boden und zerbrachen klirrend. Die Umstehenden wichen ein Stück zurück.
»Durch dein Blut, Kind! Ich weiß, was du weißt. Die Berührung damit schenkte mir jedwede Klarheit über dich. Es erweckte das meinige und gab mir all deine Erfahrungen. Du bist meine Erbin, da gibt es keine Zweifel, aber du trägst Erinnerungen in dir, die nicht einfach zu verstehen sind.« Ihre Stimme stockte, ein lautes Brummen erfüllte die Eishöhle. Ehrfürchtig zogen alle die Köpfe ein, dann sprach Lian weiter: »Ich spüre auch, dass du bis vor wenigen Wochen nichts über deine Herkunft oder unsere Welt wusstest, armes Kind …«
Mina merkte, wie ihre Beine nachgaben. Dass sie mit dem Blut ihre ganze Existenz auf Lian übertragen würde, hatte sie nicht geahnt. Und das hatte sie auch nicht gewollt! Ein anschwellender Strom von Wut überkam sie. »Hat man in Dra'Ira schon mal was von Privatsphäre gehört?«, fragte sie verärgert.
Zados erschrak. Noch niemals war einer der Anwesenden einem Drachen so nahe gewesen. Wie klar war man sich über ihre Gemütsregungen?
Lian blinzelte, dann hob sie das Haupt und streckte den Hals. Mina sah, wie sie größer und größer wurde. Am Ende musste sie den Kopf so weit wie möglich in den Nacken legen und konnte dennoch Lian nicht mehr in die Augen blicken. Ihr Magen zog sich zusammen, dennoch wollte sie Klarheit schaffen.
»Lian, wenn du auf all meine Erinnerungen zugreifen kannst, dann weißt du auch, warum wir hier sind. Du weißt, wie groß die Not in Dra'Ira ist und dass die letzte weiße Regentin heimtückisch ermordet wurde. Du weißt auch, dass ich weder das Wissen noch die Erfahrung habe, ihren Platz einzunehmen, und dass die freien Völker deine Hilfe brauchen!«, rief sie nach oben. »Du musst die Regentschaft annehmen und Ordnung schaffen, bevor Streit und Uneinigkeit den Frieden auseinanderfallen lässt.«
Lian erhob jetzt auch ihren Körper und streckte die Beine, als wolle sie munter werden und zu wachem Verstand kommen. Ihr weißes Schuppenkleid – befreit von Eis – schimmerte perlengleich im Zwielicht der Höhle.
»Ich«, begann Lian zögerlich, »bin verwirrt von all den Eindrücken, die ich durch dich erhalten habe, Kind. Ich muss erst verstehen, wo und wann ich bin. Ich brauche Zeit.«
»Zeit?«, fragte Mina, »ja, das kann ich verstehen. Na ja, ich kann es zumindest versuchen. Es ist mir nicht wirklich möglich, mich in deine Situation zu versetzen, Lian. Ich weiß nur, dass du vor Jahrtausenden vom Angesicht der Welt verschwunden bist und die Menschen hier jetzt deine Führung brauchen … ich brauche deine Führung!«
Lian kreiste mit dem Kopf. »Ich werde versuchen dir zu helfen, wenn es in meiner Macht steht.«
»Meine Herrin!«, erfüllte Salvatorus´ Stimme schallend die Höhle. »Es ist uns die allergrößte Ehre, in Eurer Gegenwart verweilen zu dürfen. Ihr seid für uns das Symbol für Freiheit und Wohlstand, und wir sind es, die auf ewig in Eurer Schuld stehen, ehrenwerte Drachendame aus der alten Zeit. Welches Glück, dass wir seit unzähligen Menschengenerationen die Ersten sind, die Euch sehen dürfen!«
Lians Schädel drehte sich in seine Richtung. Hellblau funkelten ihre Augen auf. »So sind meine Taten noch nicht vergessen.«
Mina kam es so vor, als ob in diesem einen Satz Vorwurf und Freude gleichzeitig regierten. Sie räusperte sich. »Lian, ich hörte, dass du dich für die jungen Völker sogar gegen deine eigene Art gestellt hast. Was du getan hast, war das größte Opfer, zu dem ein Lebewesen fähig ist.« Sie schüttelte ruhig den Kopf. »Ich bedauere, zu welchen Entscheidungen du gezwungen wurdest.«
Einem Pendel gleich schwang der lange Drachenhals zu Mina. »Sie verachten mich und meine Taten, weißt du? Ich meine die anderen Drachen. Und sie verachten euch, die Zweibeiner, die wie eine Plage über das Land hergefallen waren und es den Drachen streitig gemacht hatten. Dennoch habe ich mich um euch gesorgt und euch ein freies Leben ermöglicht. Wieso also steht ihr
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