Erbe des Drachenblutes (German Edition)
selbst herunterzukommen.«
»Gut, das erklärt den Brunnen, aber wir befinden uns zurzeit auf einer Alm, wie ich sie von der Erde her kenne. Die Luft, das Gras, die Berge und natürlich die Hütte passen nicht zu Dra'Ira.«
Lyonel hob die Augenbrauen. »Ja, ich weiß. Ich habe die Landschaft aus deinen Erinnerungen. Irgendwann hast du diesen Flecken Erde gesehen, und ich dachte mir, dass eine vertraute Umgebung angenehmer für dich sei. Ist das denn falsch?«
Ein donnerndes Brüllen zerriss die Harmonie der bilderbuchartigen Alm-Landschaft, die fast unverzüglich begann auseinanderzubrechen. Der Junge schrie und legte die Arme schützend um den Kopf. Die Alm war verschwunden, und Mina sah wieder den Grund des Brunnens um sich herum. Lyonel kauerte aber noch wenige Schritte entfernt vor ihr. Er befand sich genau dort, wo sie vorher den öligen Tümpel gesehen hatte.
»Lyonel, wer bist du?«, fragte Mina erneut. Sie griff nach ihm. Als habe sie erwartet, mit ihrer Hand durch ihn hindurchzufahren, war sie überrascht darüber, das feine, weiche Haar eines Jungen unter ihren Fingern zu spüren. »Welchen Namen hat deine Mutter dir geben, Lyonel?«
Er hob seinen Kopf und schaute ihr tief in die Augen. Es wirkte ehrlich und aufrichtig. Sie konnte nicht glauben, dass er absichtlich etwas Böses tat. Sie lauschte seinem sanften Atem, dann sagte er: »Pontos. Meine Mutter nannte mich Pontos. Sie gab mir den Namen in einer Zeit, in der sie mich noch lieb gehabt hat.«
Ein Gefühl von unendlicher Erleichterung überrollte Mina. Das war es, was die Empfindungen ihr bereits beim ersten Kontakt mit ihm eingeflüstert hatten, sie aber noch nicht bereit gewesen war zu glauben. Der Junge, der Schatten in ihrem Geist, war real und mächtiger als alles andere auf Dra'Ira. Mächtig, aber verstört und seiner Macht offenbar nicht bewusst. Sie war sich aber bewusst, welche Macht er haben musste .
»Pontos, der gefallene Gott! Der Gott des Meeres, der seine Mutter Gaia enttäuschte, indem er gegen ihr Gebot verstieß und eigenes Leben erschuf. Du bist der Vater aller jungen Völker, denn ohne dich gäbe es uns nicht. Aber vor allem bist du der Vater der Elben, denn sie hast du mit deinen eigenen Händen geformt.«
Der Junge bekam feuchte Augen. Tränen, schwarz wie die Nacht und schimmernd wie Onyx, rollten seine Wagen herab, dann drückte er sich eng an Mina. Zuerst war sie überrascht, dann aber erwiderte sie seine Umarmung.
»Ich wollte es nicht! Ich wollte doch nicht, dass meine Mutter wütend auf mich wird! Ich hatte doch nur gespielt, und irgendwie empfand ich die Elben als schön. Ich wollte sie nur einmal tanzen sehen, und so schenkte ich ihnen das Leben. Gaia war schrecklich wütend, so wie ich sie noch nie erlebt habe, und sie bestrafte mich dafür. Sie nahm mir all meine Erinnerungen, die sich auf mein Leben vorher beziehen, dann jagte sie mich fort. Ich stürzte ins Meer, und das Nächste, woran ich mich erinnere, war der Ort hier. Sie verband meine Existenz mit dem Gestein um uns herum. Für alle Zeit sollte ich hier bleiben und über mein Vergehen nachdenken. Dann ging sie weg. Gaia und meine Geschwister, alle sind sie gegangen, und ich bin alleine zurückgeblieben!« Er schluchzte laut. »Sie alle ließen mich alleine!«
Mina spürte plötzlich den Schmerz und die Einsamkeit des Jungen, der doch so anders war als sie. Sie drückte ihn fest an sich. Wie eine Mutter versuchte sie ihm Trost zu spenden, auch wenn sie wusste, dass er weit älter und mächtiger als sie war. Lyonel war ein Gott, aber gleichzeitig auch ein sehr einsames Kind.
»Ich werde dich nicht alleine lassen, Lyonel«, sie schmunzelte, »oder Pontos, wie es dir lieber ist.«
»Pontos hat mich seit einer Ewigkeit niemand mehr genannt, und seitdem hat mir keiner einen anderen Namen gegeben.« Er blickte sie an. »Ich möchte Lyonel bleiben.«
Sie strich ihm das Haar aus der Stirn. »Gut, so soll es sein. Und jetzt komm mit mir, Lyonel. Ich nehme dich mit nach oben, und dann werden wir sehen, wie wir Cor Keto aufhalten können. Und in Tempelburg bekommst du ein Heim, Freunde und eine Familie, das verspreche ich dir!«
Der Junge drückte sein Gesicht wieder tiefer in Minas Schulter. »Aber ich kann hier nicht fort.«
»Vielleicht stimmt das, vielleicht aber auch nicht. Ich bin eine Drachentochter, und auch Drachentöchter verfügen über große Macht. Wir sollten es wenigstens versuchen, indem wir deine und meine Kraft zusammenschließen.«
In der
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