Erbe des Drachenblutes (German Edition)
ehrfürchtig blickte es den alten Mann an.
Der nickte. »Ja, das war die Geburt unserer Welt.«
Die Koboldkinder gaben erstaunte Rufe von sich, blickten sich gegenseitig an und grinsten erwartungsvoll.
»Gaia formte die Erde, fügte zusammen, was zusammengehörte, und ließ ihr Blut in das trockene Element laufen. Dort, wo ihr erster Blutstropfen auf den Boden fiel, erwuchs eine Eidechse. Sie regte sich, und eine lange, spitze Zunge schnellte aus ihrem Maul. Gaias jüngster Sohn Kronos, der Gott der Zeit, setzte seine Macht ein und berührte die Kreatur. Innerhalb von wenigen Minuten wuchs die Echse heran, bis ihr Kopf weit über den der Götter ragte und sein Körper sich den Gegebenheiten seiner Umwelt angepasst hatte. Gaia lächelte, denn sie hatte den ersten Bewohner Dra'Iras erschaffen: einen Drachen! Jener Drache war der Urvater, der Fürst aller, und somit – als direkter Nachkomme aus Gaias Blut – den anderen Gotteskindern fast gleichgestellt.
Gaia betrachtete ihre Schöpfung, und ihr Herz lachte. Sie griff in die Erde und zog eine Flamme aus lebender Glut heraus, um sie gegen den Kopf des Tieres zu schleudern. Aus Instinkt schnappte es danach und versenkte die Flamme in seiner Kehle. Kurz darauf spie es Feuer wie kein zweites Wesen, was die Göttermutter je erschaffen hatte.
Gaias Kinder kamen, um die neugeborene Kreatur zu sehen und ihr Geschenke zu machen. Als letztes trat Themis – die Göttin der Gerechtigkeit – hervor und schenkte dem allerersten Drachen seiner Art einen ungewöhnlich scharfen und umsichtigen Verstand. Danach verspürte Gaia eine tiefe Zufriedenheit, denn sie liebte ihr neues Geschöpf, dem noch viele seiner Art folgen sollten.
Jahrhundertelang beobachteten die Götter im Verborgenen Gaias Schöpfung. Sie sahen, wie sich Rangordnungen bildeten, sich die Drachen in Clans zusammentaten und weiter über Dra'Iras Antlitz ausbreiteten. Gaia hatte dafür gesorgt, dass es ausreichend Wild und Nahrung für die Drachen gab, damit sie zufrieden leben konnten und niemals Not litten. All das erfüllte die Drachen, bis sich eines Tages die alte Weisheit bestätigte, dass jeder Pol einen Gegenpol benötigt. Nach Gaias Vorstellungen war die Welt perfekt, aber eines ihrer Götterkinder wollte mehr. Es war zumindest der Meinung, dass die Drachen nun zu ihrer weiteren Entwicklung eine besondere Herausforderung benötigten. So entschied sich der junge närrische Gott gegen den Willen und hinter dem Rücken seiner Mutter, eine neue Lebensform zu erschaffen. Eine Lebensform, die seinem eigenen Bildnis glich.«
»War es ein Waldkobold?«, wollte ein Koboldmädchen mit zwei leuchtend roten Zöpfen wissen.
Der in die Jahre gekommene Geschichtenerzähler schmunzelte. »Nein, mein Kind. Er erschuf die Elben.«
»Die Elben? Sie sollen die Ersten nach den Drachen gewesen sein?«, erwiderte missmutig einer der pickelnasigen Jungen in der ersten Reihe.
Der alte Kobold blickte nachsichtig zu ihm und nickte. »Ja, kleiner Krieger, wir können nicht daran rütteln, sie waren die Ersten nach den Drachen. Aber der junge Gott hatte damit gegen eines der wichtigsten Gesetze von Gaia verstoßen: Niemand außer ihr selbst erschafft oder bestimmt das Leben auf den Welten, die sie besuchte. Er wusste, dass es für seine Mutter eine unverzeihliche Tat darstellte, und er hatte unbändige Angst vor den Konsequenzen.
Und obwohl er den Elben eine tiefe Verbundenheit und Liebe zu der Natur schenkte, damit sie in den dichten Wäldern von Dra'Ira unbemerkt blieben, entdeckte Gaia ihre Existenz. Zorn beherrschte ihren Verstand, denn keines ihrer Kinder durfte ohne ihre Zustimmung Leben erschaffen. Leben, was sie nicht mehr nehmen konnte, ohne ihrem so verachteten Schöpfer, dem Chaos, gleich zu sein. Voller Wut donnerte eine unbegreifliche Macht aus ihren Händen, die sich innerhalb weniger Herzschläge über ganz Dra'Ira ausbreitete. Die Erde bebte, und ehemals erloschene Vulkane brachen erneut auf. Ganze Wälder erzitterten, und Raum und Zeit verloren ihre Substanz. Seit Gaia sich von ihren Geschwistern losgesagt hatte, war sie nicht mehr so aufgewühlt gewesen. So tat sie etwas, was sie bei klarem Verstand niemals getan hätte: Sie nahm ihre fehlgeleitete Kraft und ließ sie tun, was immer sie wollte. So breitete sie sich unkontrolliert aus und erschuf alle möglichen Formen des Lebens. So entstanden – aus einem Akt der puren Raserei – Kobolde, Menschen, Trolle, Zwerge, Goblins und alle weiteren Bewohner, die
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