Erbe des Drachenblutes (German Edition)
genauer ansehen, doch die kleinen Gesellen hatten offensichtlich Angst vor Menschen und verschwanden eilig in einem Seitengang. Vor einer stabilen Eichentür blieb Nexus stehen. Schnitzereien von Drachen, die über die Weiten des Berglandes flogen, überzogen das Holz. »Hier werden wir die Hilfe finden, die wir brauchen, um sicher weiterreisen zu können«, sagte er freudig und stieß die Tür auf.
v v v v v
Kapitel 5: Die Legende der Göttermutter Gaia
Ihnen bot sich ein friedliches Bild. In einem kleinen, runden Raum, in dem ein Feuer im Kamin prasselte, hockte ein weißhaariger Kobold im Schneidersitz auf dem Boden. Vor ihm saßen mindestens zwanzig Koboldkinder, die aufmerksam seinen Worten lauschten – alle mit dem Rücken zur Tür. Das von Alter gezeichnete Gesicht glich auffällig dem von Nexus, auch wenn der Grünton der Haut inzwischen einem blassen Braun gewichen war. Mit einem zufriedenen Lächeln erzählte der alte Kobold eine Geschichte, die er mit weit ausholenden Handbewegungen umschrieb. Alle waren so von seiner Erzählung eingenommen, dass keiner der Anwesenden zur Tür blickte. Mina war sich noch nicht einmal sicher, ob die Kinder das Öffnen der schweren Tür überhaupt registriert hatten. Auch der alte Kobold ließ sich nichts anmerken und führte seine Geschichte weiter aus. Mina schaute zu Nexus, der ihr auffordernd zunickte. Leicht neigte sie ihren schlanken Oberkörper, bis sie durch die niedrige Tür hindurchtreten konnte. Sie setzte sich ganz hinten zu den Zuhörern und folgte aufmerksam der Erzählung. Nirvan zögerte kurz, seufzte gelangweilt und setzte sich dann neben Mina. Nexus schloss die Tür und gesellte sich dazu.
Der alte Kobold ergriff einen aus dunklem Holz gearbeiteten Spazierstock, der mit Schriftzeichen verziert war. Ihn schwang er über die Köpfe seiner halbwüchsigen Zuhörer, die ihn mit strahlenden Augen anhimmelten. Er blickte grimmig drein, um seinen nächsten Worten mehr Bedeutung zukommen zu lassen. »Und dann waren da natürlich auch noch die Götter«, fuhr er langsam mit einer rauchig klingenden Stimme fort. Die Kinder gaben Laute des Erstaunens und der Neugier von sich. »Ja, ihr unwissenden Tunichtgute, die Götter! Manche von euch sind vielleicht der Meinung, dass es sie nie gab oder dass sie nur eine Erfindung eurer Vorfahren sind, aber dem ist nicht so!« Bedeutungsschwer blickte er zu Boden. »Ich werde euch erzählen, wie alles begann.
Am Anfang gab es nur das Nichts, eine gähnende Leere. Es war die pure Unendlichkeit, bis sich eines Tages dort etwas regte. Etwas, was für uns Sterbliche auf ewig unbegreiflich bleiben wird. Diese Form des Seins erkannte, dass Existenz alleine nicht ausreichte, um Zufriedenheit zu erfahren, und so erschuf sie sich selbst und nannte sich Chaos.
Doch braucht nicht jeder Pol einen Gegenpol, damit er gefördert wird und sich messen kann? Woher soll die Dunkelheit wissen, dass sie düster ist, wenn es kein Licht gibt? Und so kam es, dass sich kurz darauf der Kosmos aus der Unendlichkeit herausschälte und sich einen Platz in der Unvergänglichkeit suchte. Das Chaos stand für rastlose Verwirrung und Uneinigkeit, wogegen der Kosmos die Harmonie des geordneten Ganzen verkörperte.
Schnell wurde beiden klar, dass sie sich abgrundtief hassten und die Vernichtung des jeweils anderen begehrten. Aus dieser Verblendung heraus strebten sie gegeneinander, und sie donnerten mit einer so unvorstellbaren Kraft zusammen, dass der Aufprall noch den letzten Winkel des Nichts erschütterte. Mächte verschlangen sich daraufhin gegenseitig und strebten wieder auseinander. Hieraus wurde Raum und Zeit geboren. Danach entstanden die ersten Himmelskörper, die sich wieder zu größeren Gebilden ineinanderfügten. Gelegentlich entflammte einer von ihnen und schenkte der Dunkelheit das Licht, so wie es auch unsere Sonne tut. Wenn ihr nachts in den Himmel blickt, seht ihr all die vielen kleinen schimmernden Punkte, und fast jeder Punkt steht für einen flammenden Himmelskörper, der mit seiner Wärme das Leben auf Welten ermöglicht, so wie bei uns.
Das Chaos und der Kosmos betrachteten teilnahmslos das Geschehen. Das war es nicht gewesen, was die beiden ungleichen Brüder hatten erreichen wollten, dessen ungeachtet war es geschehen. Mehr noch, sie hatten gelernt, dass sie sich so nicht zerstören konnten. Sie waren zwei Seiten einer Münze, und sie hatten gleichwertige Kräfte. Jeder sah den anderen nun als ein notwendiges Übel, mit dem man
Weitere Kostenlose Bücher