Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
Probleme. Und dass sie auch diesmal ein Ausbruch übernatürlicher Besessenheit retten würde, wagte sie kaum zu hoffen.
Alle Gedanken an Ty schob sie beiseite, obwohl sie wusste, dass er zeitweilig hier gelebt haben musste, durch diese Flure gegangen war, mit diesen Leuten geredet hatte. Aber an ihn zu denken, tat einfach zu weh. Und Tränen – das spürte sie – würde man hier mit Sicherheit missbilligen.
Es würde bestimmt lange, sehr lange dauern, bis der Schmerz nachlassen würde, der ihr schier das Herz zerriss. Aber – dachte sie niedergeschlagen – selbst wenn er in dem Sicheren Haus bei ihr geblieben wäre, wäre sie jetzt allein. Im besten Fall hätte man ihn wieder auf seinen Posten als Diener zurückgeschickt. Und im schlimmsten Fall …
Nein, das wollte sie sich gar nicht erst vorstellen. Zu wissen, dass er irgendwo dort draußen unterwegs war, musste reichen.
Nachdem sie etwa zehn Minuten über den teuren Teppich getigert war, klopfte es plötzlich laut an der Tür.
»Ich komme«, rief sie und ging auf die Tür zu. Sie wusste, dass draußen Wachen standen, aber immerhin ließ man ihr im Zimmer ihre Privatsphäre. Am Anfang war sie reichlich verunsichert gewesen, als sie die beiden sehr großen und sehr Furcht einflößenden Männer gesehen hatte, die man zu ihrer Begleitung abgestellt hatte. Aber sie nahm an, dass man ihr dennoch ein gewisses Maß an Gastfreundschaft zeigen und ihr das Gefühl geben wollte, man vertraue ihr.
Niemand hatte sie nach Ty gefragt, was Lily ziemlich merkwürdig fand. Und einmal, als sie einem der freundlicheren Wachmänner gegenüber Tys Namen erwähnt hatte, hatten dessen warme, honigfarbene Augen wütend aufgeblitzt.
»Sein Name ist tabu«, hatte er gesagt.
Lily war nichts anderes übrig geblieben, als zu nicken. Sie hatte sich außerstande gesehen, sich mit einer alten ägyptischen Vampirin anzulegen.
Und daran hatte sich bis jetzt nichts geändert.
Kurz fragte sie sich, was sie wohl tun würde, wenn auf der anderen Seite der Tür auf einmal Ty stünde. Ty, der gekommen war, um sie zu retten, um ihr seine Liebe zu gestehen, um sie in das Leben zu entführen, das sie sich wünschte – ein Leben mit ihm. Angewidert zog sie die Mundwinkel nach unten. Ein schöner Traum. Aber aus ihrer jetzigen Situation konnte sie sich nur selbst retten. Diese Entscheidung hatte sie bewusst getroffen, und damit musste sie jetzt leben.
Als Lily die Tür öffnete, lief ihr sofort ein Angstschauder über den Rücken. Der Mann, der vor ihr stand, musterte sie, als sei sie ein schmackhafter Bissen, den es gleich zum Abendessen geben würde. Lily wurde mal wieder bewusst, dass wirklich jeder Vampir, den sie bisher gesehen hatte, übernatürlich schön war. Aber fast alle hatten sie kaltgelassen, und keiner hatte solch eine Begierde in ihr entfacht wie Tynan an jenem ersten Abend, als sie sich kennengelernt hatten.
Verdammt. Sie musste sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Hatte Ty das nicht auch getan, um sich so lange Jahre unter diesen Wesen aufhalten zu können?
»Hallo«, sagte sie und hoffte, dass sie freundlich und entspannt klang. »Kommen Sie rein.«
Der Vampir war schön, und beim Anblick seines goldfarbenen Haars und seines makellosen Gesichts wäre jeder Renaissance-Bildhauer vor Freude in Tränen ausgebrochen. Er trug einen schicken Kurzhaarschnitt und war ganz in Schwarz gekleidet: elegante Hose, passendes Hemd, alles maßgeschneidert. Lily war keine Expertin für teure Klamotten, aber seine Schuhe hatten vermutlich mehr gekostet, als sie jeden Monat für ihr Haus abbezahlte.
Ihr stellten sich die Nackenhaare auf. Ihr Mal, das durchgehend geprickelt hatte, seit sie das Gelände betreten hatte, fing an zu brennen. Dieser Mann war ihr auf Anhieb unsympathisch.
»Lily«, sagte er und lächelte kalt. »Wie nett, dich endlich kennenzulernen. Ich habe schon viel über dich gehört. Ich hoffe, wenigstens ein Teil davon stimmt. Du selbst solltest das übrigens auch hoffen.«
Er schwieg, als warte er auf eine Reaktion von ihr. Da Lily am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht und sich im Schrank versteckt hätte, zog sie es vor, zu schweigen. Je länger er dort stand, desto aufgewühlter fühlte sie sich. Mit ihm bekam der Begriff »unangenehme Ausstrahlung« gleich eine ganz neue Dimension.
Der Vampir wirkte ein wenig verärgert, dass er ihr keine Antwort entlocken konnte. »Wie es aussieht, liegt eine lange Nacht vor uns«, fuhr er fort. »Die Königin wünscht dich
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