Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
gewesen wäre.
»Meine Güte … Lily? Bist du das wirklich?«
»Ja, ich bin es, Bay. Pass auf … ich kann dir nicht viel erzählen, aber ich wollte, dass du weißt, dass es mir gut geht.«
»Gut?« Bays Stimme war kurz vorm Überschnappen. »Wo zum Teufel steckst du, Lily? Hat dich jemand entführt? Was ist passiert? Ich bin Dienstag nach der Arbeit zu dir gefahren, weil ich nichts von dir gehört hatte, und es sah aus, als ob … Überall Glassplitter, die Möbel umgeworfen, Blut auf dem Boden. Die Lokalzeitungen sind voll von dir, und die Bullen haben zwar nicht die geringste Spur, sagen aber, dass es nach einem Überfall aussieht.«
»Blut«, murmelte Lily. Es musste von Damien stammen, vermutlich hatte er sich verletzt, als sie ihn abgeschüttelt hatte. Daraus würde die Polizei keine Schlüsse ziehen können, und das war sicher besser so. Niemand, der sich dorthin wagte, wo sie sich gerade aufhielt, würde sich damit etwas Gutes tun.
»Ja, Lily! Blut, verdammt! Wo steckst du?«
Lily überlegte, wie sie diese Frage beantworten sollte, und wünschte sich, sie hätte sich darüber ein paar Gedanken gemacht, bevor sie den Hörer in die Hand genommen hatte.
»Ich bin in Sicherheit, vorläufig jedenfalls. Hör zu, Bay, ich kann jetzt nicht lange reden. Was hier gerade passiert, ist viel zu kompliziert, und du würdest es mir sowieso nicht glauben. Aber … mach dir keine Sorgen.«
»Das ist doch verrückt«, erwiderte Bay, und jetzt klang sie nicht nur ängstlich, sondern auch wütend. »Das ist alles total verrückt. Ich dachte, du wärst tot. Ich habe dich schon zerschnippelt im Keller von irgend so einem Psycho gesehen. Und jetzt rufst du mich von irgendwoher an und sagst mir, ich soll mir keine Sorgen machen? Für wie blöd hältst du mich eigentlich?«
Es beschämte Lily, dass sie Bay so viel Kummer gemacht hatte und ihr jetzt nicht einmal sagen konnte, wo sie war, auch wenn das alles nicht ihre Schuld war. Bay war die beste Freundin, die sie je gehabt hatte. Sie schuldete ihr mehr als ein derart oberflächliches Telefongespräch.
»Okay«, erwiderte Lily. »Kurz und knapp: Weshalb ich meine Adoptiveltern hasse? Sie haben versucht, mich einweisen zu lassen, als ich ein Kind war. Mehrfach. Man hat mich allerdings immer wieder entlassen, weil ich nicht verrückt bin. Ich bin … also, ich habe übernatürliche Fähigkeiten.«
Bay schwieg einen Moment lang. »Aha«, sagte sie schließlich. »Und weiter?«
Jetzt war es Lily, die ärgerlich klang. »Du wolltest die Wahrheit hören, jetzt kriegst du sie. Diese übernatürlichen Fähigkeiten sind der Grund, weshalb ich nicht schlafen kann. Die Sachen, die ich im Traum sehe … na ja, das ist jetzt nicht wichtig. Was ich tun kann, ist manchmal sehr zerstörerisch, und als Kind hatte ich das kaum unter Kontrolle. Nachdem mich das Krankenhaus mal wieder entlassen und meine Eltern zu Spinnern erklärt hatte, die in Bezug auf ihr Kind irgendwie einen Knall hatten, haben meine Leute mich ins Internat gesteckt, damit sie sich nicht mehr mit mir befassen mussten. Sie haben für meine Schulausbildung gezahlt, solange ich bereit war, mich nur möglichst selten in ihrem großartigen, filmreifen Leben blicken zu lassen. Und da sie es mir nicht gerade angenehm gemacht haben, wenn ich kam, habe ich das gern akzeptiert. Wir reden nicht miteinander. Das war’s. Jedenfalls, was meine Eltern angeht.«
»Ich wünschte, du hättest mir das erzählt«, erwiderte Bay leise.
In ihrer Stimme schwang nicht der leiseste Zweifel mit, und Lily wurde schlagartig klar, wie viel ihr ihre Freundin bedeutete.
»Du glaubst mir? Einfach so?«
»Lily. Du bist meine beste Freundin. Außerdem bist du einer der normalsten Menschen, die ich kenne. Und in gewisser Weise leuchtet mir das durchaus ein, was du sagst. Ich wusste immer, dass es da was gab, was du mir nicht erzählt hast. Aber ich habe nicht nachgebohrt, weil ich mir gedacht habe, wenn du so weit bist, wirst du es mir schon erzählen. Aber das erklärt noch nicht, wieso du weg bist und dein Haus wie ein Tatort aussieht. Ist da so was wie eine geheime Regierungsorganisation hinter dir her?« Plötzlich klang ihre Stimme deutlich lebhafter. »Haben dir deine Eltern das FBI auf den Hals gehetzt? Damit du deine Kräfte in einem geheimen Programm einsetzt, wo übersinnliche Kräfte in Waffen umgesetzt werden?«
Lily schloss die Augen, hin- und hergerissen zwischen Belustigung und Bestürzung. Bay wusste aus allem immer eine gute
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