Erdbeerkönigin
vorstellen, dass er nicht schaffen würde, was er sich vorgenommen hatte.«
Wieder verstumme ich. Die Gedanken tanzen in meinem Kopf. Unsere Begegnung damals hat Kräfte freigesetzt und unser Leben beeinflusst. Ja, auch meins. Denn ohne Daniels Kuss hätte ich mich niemals getraut, mit Nick zu flirten. Und für Daniel wie für mich blieb das glückliche Schweben unvergesslich, das uns durch die Nacht an der Elbe getragen hatte.
»Aber das betrifft doch die Eva der Vergangenheit – wieso wollte er, dass die Eva der Gegenwart an seinem Grab spricht?«, hake ich erneut nach.
»Das habe ich auch nicht verstanden. Er hat dich in den Wochen vor seinem Tod immer wieder erwähnt und dass er dich gern wiedersehen würde. Habt ihr damals über den Tod gesprochen und über Beerdigungen?«
»Nein.« Ich beobachte, wie ein Schmetterling auf einem Blatt landet. »Wir haben nur über das Leben gesprochen. Und über die Zukunft.«
Hubertus streicht seine Haare zurück. »Aus einem geheimnisvollen Grund war es ihm nicht gleichgültig, wie er unter die Erde kommt. Manchmal wollte er darüber diskutieren, dann hat er wieder vollkommen abgeblockt. Diese Urnenbeisetzung erschien ihm wie ein Kompromiss. Ich habe nie herausbekommen, wieso. Vielleicht hätten wir über eine Seebestattung nachdenken sollen. Aber wir haben es dann doch nie besprochen.«
Wir schlendern weiter. Der Park geht in einen Wald über. Unversehens stehen wir auf einer Lichtung, die von hellen Birken und mächtigen Eichen gesäumt wird.
Hubertus sagt: »Ich habe das Ganze schließlich selbst in die Hand genommen und hier ein sogenanntes Baumgrab reserviert.« Er seufzt. »Es ist ja alles reglementiert. So wie man sein Haustier nicht im eigenen Garten vergraben darf, darf man auch Menschen nicht irgendwo beerdigen oder Asche verstreuen. Dadurch macht man sich strafbar.«
»Wer kommt denn auch auf die Idee, die Asche seiner Angehörigen irgendwo zu verstreuen?«
Hubertus winkt ab. »Hast du eine Ahnung! Da gehen die Meinungen weit auseinander. Es ist auf jeden Fall so, dass das in Deutschland verboten ist und nicht gerade als Kavaliersdelikt behandelt wird.«
Ich schaue mich um. »Deswegen also Baumgräber?«
Hubertus nickt. Langsam gehen wir weiter.
Es herrscht eine sanfte Stille auf den langen Alleen, eine verzaubernde Stimmung. Unter alten Bäumen liegen gepflegte Wiesen. Die Großstadt ist jetzt so weit entfernt wie der Mond. Als ich mich ein letztes Mal nach den Baumgräbern umdrehe, ist mir, als sähe ich eine lange, schmale Silhouette mit weißen Flügeln hinter einem Baum verschwinden. Ein Engel? Schnell blicke ich zu Hubertus hinüber. Aber der schaut stumm vor sich hin und scheint nichts bemerkt zu haben.
Bevor ich am Abend nach Hause gehe, mache ich kurz entschlossen beim portugiesischen Imbiss Station. »Na, auch keine Lust, selbst zu kochen?«, begrüßt mich Udo Meyer, der vor dem Tresen steht. »Ganz genau«, bestätige ich. »Können Sie etwas empfehlen?«
»Den gemischten Vorspeisenteller«, sagt Meyer wie aus der Pistole geschossen.
»Diego, mach doch für die Dame auch noch einen«, weist er den jungen Mann hinter dem Tresen an.
Diego nickt mir zu und sagt dann an Udo gewandt: »Eine neue Freundin?« Er spricht perfektes Deutsch mit hamburgischem Zungenschlag.
Udo grinst. »Schön wär’s! Das ist Eva Brandt, die wohnt jetzt in Daniel Eisenthuers Wohnung.«
Der junge Mann mustert mich mit neuem Respekt.
»Daniel Eisenthuer – das ist so traurig mit ihm.«
»Ja, finde ich auch. Sie kannten ihn?«
Diego fischt Muscheln aus einer Soße und gibt sorgfältig mehrere Löffel mit weißen Bohnen auf einen Teller.
»Ja, ich kannte ihn.« Er verzieht sein Gesicht.
Udo Meyer erklärt leise: »Eisenthuer hat hier mal einen riesigen Budenzauber veranstaltet, weil er ein Essen nicht in Ordnung fand.«
Diego nickt. »Völlig idiotisch. Hat sich aufgespielt, von wegen: So etwas gibt es in Portugal gar nicht. Ihm war es zu salzig oder nicht salzig genug.« Er bedeckt die Teller mit Cellophan und wiederholt: »Völlig idiotisch.«
Als ich nichts sage, wendet er sich um Bestätigung bittend an Meyer. »Ihr mochtet ihn doch auch nicht besonders, oder?« Udo Meyer zuckt mit den Schultern. »Na, es ging so.« Offenbar ist es ihm unangenehm, bei schlechter Nachrede erwischt zu werden. Er greift hastig nach seinem Essen und ruft: »Du, ich zahl morgen früh. Ich muss los.«
Als Meyer gegangen ist, sagt Diego: »Ich hab nichts gegen den
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