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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schütze
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Herz.
    »Mehr als das.«
    »Mehr?« Zum zweiten Mal in kurzer Zeit höre ich, dass es tiefere Gefühle geben soll als Liebe. Hubertus sieht mich an. Lange.
    Ich habe wieder das Gefühl, auf dem Prüfstand zu stehen, und halte unwillkürlich den Atem an.
    Doch dann sagt Hubertus: »Du warst so etwas wie ein Schutzengel für Daniel. Fest verankert in der Vergangenheit, aber immer präsent. Du gehörtest zu ihm. Hast ihn sein Leben lang begleitet.« Wir bleiben stehen. »Kannst du dich erinnern, dass du damals mit ihm an der Elbe warst?«
    Ich nicke.
    »Als ich Daniel kennenlernte, hat er mir sehr bald von dir erzählt. Nicht wie junge Männer über Mädchen reden. Du warst, glaube ich, auf gewisse Weise ohne sexuelle Bedeutung für ihn.« Hubertus grinst. »Etwas, was Filou nie verstehen würde. Allerdings kannte keiner von uns damals schon Filou.« Er legt den Schirm wie ein unternehmungslustiger Wanderer über die Schulter.
    »Als wir uns trafen, Daniel und ich, waren wir uns sympathisch und haben uns, wie neue Freunde das so tun, einander unser Leben, unsere Träume und Ideen erzählt. Ich komme vom Land, mein Vater war Automechaniker, wie man das damals nannte. Ich war der Erste in unserer Familie, der Abitur machte und studieren wollte. Meine Eltern hätten es gern gesehen, wenn ich Bankkaufmann gelernt und eine nette Frau geheiratet hätte. Aber ich wollte unbedingt Jura studieren. Und zudem war ich nicht an Frauen interessiert.«
    Er wendet sich mir zu. »Du warst erstaunt, als du Theo gesehen hast, stimmt’s?«
    »Erst war ich überrascht, ich wusste ja nicht, wie du lebst«, rechtfertige ich mich. Hubertus winkt ab. »Alles in Ordnung. Was meinst du, wie lange ich gebraucht habe, um zu erkennen, dass ich schwul bin?« Er lacht auf. »Ausgerechnet beim Familienurlaub auf Sylt war dann alles klar. Der DLRG -Rettungsschwimmer an unserem Strandabschnitt wusste mehr als ich.«
    Er sieht jetzt sinnend vor sich hin. »Der hat mir buchstäblich das Leben gerettet.«
    Ich denke an die Postkarte, die ich gefunden habe. Hubertus spricht weiter: »War das eine komplizierte Zeit! Ich wusste nur, ich wollte Männer lieben. All das habe ich Daniel nach dem Urlaub auf Sylt erzählt. Ich weiß es noch genau: Wir saßen in einer Kneipe in Altona und ich sagte: ›Ich glaube, ich will Männer lieben.‹ Ich hatte ja auch noch Angst, dass ich Daniel dann verlieren würde. Vielleicht würde er nicht mehr mein Freund sein wollen, wenn ich mich outete. Außerdem glaubt ich damals noch, dass ich in ihn verliebt wäre.«
    »Du glaubtest es?«
    »Ja, ich fand viele Männer attraktiv. Dass Daniel mein bester Freund sein würde, wusste ich noch nicht.«
    »Wie hat er auf dein Geständnis reagiert?«
    Hubertus seufzt und lächelt. »Er hat lediglich gesagt: Mach doch!« Hubertus sieht mich triumphierend an. »Den Spruch musst du doch kennen, oder?« Als ich nicke, fährt er fort: »Er hat auch gleich das Copyright dazu geliefert: ›Diesen Rat hat mir eine Erdbeerkönigin namens Eva gegeben.‹«
    Hubertus schüttelt den Kopf. »Das war zu verrückt. Allein der Ausdruck ›Erdbeerkönigin‹! Was, bitte schön, ist eine Erdbeerkönigin? Aber dieser Spruch war genau das, was ich brauchte. Mach doch! Am nächsten Tag bin ich zu meinen Eltern gefahren. Ich habe mich bei ihnen an den Mittagstisch gesetzt und gesagt: ›Ich werde nicht heiraten. Ich bin schwul.‹«
    Ich sehe ihn gespannt an. »Und wie war die Reaktion?«
    Hubertus nimmt den Schirm unter den Arm. Jetzt ist die Traurigkeit vollkommen aus seinem Gesicht verschwunden. »Völlig anders, als ich befürchtet hatte. Mein Vater war erleichtert. ›Junge‹, hat er gesagt, ›wir haben doch gemerkt, dass dich etwas umtreibt. Wir hatten Angst, dass du vielleicht in eine Sekte gehen willst.‹ Zum Totlachen! Mich hat dein Spruch also regelrecht befreit. Daniel ging es genauso. Deine Worte waren so etwas wie sein persönliches Mantra, das ihn bei jedem neuen Vorhaben begleitet hat. ›Verstehst du?‹, sagte Daniel. ›Es geht darum, seine Ideen zu leben. Sie nicht mit kleinlichen Bedenken zu zerstören. Mach doch! Was soll schon passieren? Wie kannst du wissen, ob etwas möglich ist, wenn du ihm keine Chance gibst?‹«
    Ich bin verwirrt. Diese zwei Worte von mir damals sollen Daniel und sogar Hubertus lebenswichtige Hilfen geleistet haben?
    »Davon hatte ich keine Ahnung!«
    Ich zucke mit den Achseln. »Zu Daniel ›Mach doch‹ zu sagen war nicht schwer. Ich konnte mir gar nicht

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