Erdbeerkönigin
gefragt. Francesca war mir nicht wichtig.« Dann stellt sie ihr leeres Glas auf den Küchentisch. »Ich guck mal, wo Mia ist.« Als sie den Flur entlanggeht, sieht Alissa ihr nach. »Die ist nett«, stellt sie fest. Ich lege meinen Arm um ihre Schultern. »Ja, nicht wahr?«
Alissa zieht mich auf. »Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft?«
»Eifersüchtig?«
»Habe ich Grund dazu?«
»Der Platz für meine beste Freundin ist besetzt«, erinnere ich sie.
»Hat sich Nick endlich gemeldet?«, fragt auf diese Liebeserklärung meine beste Freundin und löst damit bei mir erneut den Phantomschmerz der Trennung aus. Ich schüttle den Kopf.
Plötzlich zupft Mia an meinem Arm. Sie hält mir ein Buch vors Gesicht. »Guck mal, Eva, vielleicht ist es das Buch, das Herr Berger sucht?«
Ich beuge mich neugierig vor und entziffere auf dem Taschenbuch den Titel »Die Geliebte des französischen Leutnants«.
»Wurde das nicht auch verfilmt?«, frage ich Alissa. Sie zuckt mit den Schultern. »Ich hole Herrn Berger!«, ruft Mia. Sie rennt wieder ins Wohnzimmer, und wenig später steht Sven Berger neben uns.
Ich reiche ihm das Buch. »Ich kenne nur den Film«, wiederhole ich mich. Berger streicht gedankenverloren über den Einband. Er lächelt zufrieden. Es ist wohl wirklich das gesuchte Buch.
Hubertus und Theo haben sich zu uns gesellt. Hubertus bemerkt etwas überheblich: »An den Film erinnere ich mich auch. Mit Meryl Streep und Jeremy Irons, so eine englische Kostümschnulze.«
»Du hast doch keine Ahnung«, mischt sich Theo ein. »Schnulze? Großartiges Gefühlsdrama! Ich hab selten so geweint.« Er erzählt: »Es geht um eine Frau, die eine Liebesaffäre mit einem französischen Leutnant hatte und immer am Meer steht und nach ihm ausschaut.« Theo verzieht sein Gesicht melodramatisch. »Versteht ihr, warum ich weinen musste? Die schöne Frau, eingehüllt in ein schwarzes Tuch, die den einsamen Weg zum Pier entlanggeht, der Wind spielt in ihren Haaren, die Geigen rauschen auf, und sie steht an der Klippe und blickt sehnsuchtsvoll über das Meer nach ihrem Liebsten. Hach!«
Hubertus verdreht die Augen. »Du bist ein unverbesserlicher Romantiker, Schatz!«
»Auf jeden Fall war das Buch zuerst da«, meldet sich nun Sven Berger zu Wort. Seine Stimme klingt kräftig und froh. Er lächelt Mia zu. »Die Stelle, die ich suche, ist nicht von dem Buchautor, sondern ein Zitat von einem anderen berühmten Dichter.« Er blättert durch die Seiten. Dann nickt er langsam. »Hier steht es. Es ist von Alfred Tennyson, einem berühmten Dichter aus England.« Er liest: »Nur einmal, einmal nur hob sie den Blick/Und wurde rot: schnell, süß, seltsam/Sie sah: mein Blick traf ihren.«
Bald darauf beginnt in der Wohnung ein geschäftiges Räumen, Stühle werden aus allen Zimmern ins Wohnzimmer gebracht. Dort haben sich fast alle um den großen Tisch versammelt, Theo und Alexandra setzen sich auf den Boden, Billie und einige andere lehnen an den Fensterbänken, Filou sitzt neben Francesca, Sven Berger und Mia kommen mit Hockern aus dem Kinderzimmer dazu. Alissa und ich finden Platz auf der breiten Sofalehne. Eine erwartungsvolle Stille breitet sich aus, und als Hubertus im Türrahmen auftaucht, wird er bestürmt wie der Gastgeber einer Geburtstagsfeier.
»Du musst etwas sagen«, fordert Alexandra. Filou sekundiert: »Eine Rede auf unseren Daniel!«
Hubertus hebt die Hände. »Die Rede gibt es doch morgen, bei der Urnenbeisetzung. Und die hält Eva.«
Zu meiner großen Verlegenheit deutet er auf mich. Mir steigt das Blut in den Kopf.
Alexandra ruft: »Hubertus hat recht! Eva, was willst du morgen denn sagen?«
Ich wehre ab. »Hubertus hat doch schon gesagt, dass es die Rede morgen gibt. Ihr müsst bitte noch ein wenig Geduld haben …« Mir fällt etwas ein. »Warum sagt nicht jeder von uns etwas über Daniel? Etwas Positives, aber ruhig auch etwas nicht so Schmeichelhaftes.« Ich blicke in die abwartenden, erstaunten Gesichter. »Denn wenn ich eins in den letzten zwei Wochen über Daniel, aber auch über das Leben gelernt habe, dann, dass beides bei ihm ursächlich zusammengehört.«
Einige Leute lachen, andere nicken. Aber ich sehe auch kritische und nachdenkliche Blicke.
Filou hebt den Zeigefinger. »Gute Idee, ma belle.« Er genießt es offensichtlich, nun im Mittelpunkt zu stehen. Wie erwartet macht er eine große Vorstellung daraus, fährt sich durch die Haare, kneift die Augen zusammen, stützt in Denkerpose sein Kinn in
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