Erdbeerkönigin
Hoffnung erfüllt, die Tür würde aufgehen und Daniel würde aus der Küche ins Wohnzimmer kommen, beladen mit einem Tablett voller Kaffeebecher.«
»Ich hatte gestern Nacht auch das Gefühl, ich würde in Daniels Privatsphäre eindringen.«
Hubertus macht ein zustimmendes Geräusch. »Vielleicht lassen wir uns ja auch deswegen noch Zeit damit, die Wohnung auszuräumen. Weil das etwas so Endgültiges hat. Wenn die Wohnung aufgelöst ist, kann ich mir nicht mehr vormachen, dass er noch lebt.«
Einen Moment lang schweigen wir beide. Dann kommt Hubertus auf den Grund seines Anrufs zu sprechen.
»Heute hat sich Alexandra bei mir gemeldet, die Ex-Frau von Daniel. Sie möchte gern etwas aus der Wohnung holen. Kennst du Alex?«
»Hubertus, ich kenne niemanden aus Daniels Leben«, erinnere ich ihn.
»Aber von Mia hast du gehört?«
»Nein. Wer ist Mia?«
»Seine Tochter.«
»Ihr gehört auch das ›Gästezimmer‹, stimmt’s?« Ich betone so, dass Hubertus sich die Anführungsstriche denken kann.
Hubertus lacht entschuldigend auf. »Wenn man einem Gast ankündigt, er würde im Kinderzimmer schlafen dürfen, klingt das immer so, als wolle man ihn abschieben. Kinderzimmer ist doch die zweitschlechteste Wahl nach Besucherritze. Dieses Gefühl wollte ich gestern bei dir vermeiden. Deswegen habe ich Mias Zimmer als Gästezimmer angepriesen. Schläfst du dort?«
»Nein, ich habe es mir auf dem Sofa im Wohnzimmer bequem gemacht. Das erschien mir passender.«
»Kann ich verstehen.«
»Wie alt ist Mia?«
»Sie wird im Oktober dreizehn.«
Also ist sie zwölf. Genauso alt war ich, als Papa starb. Mein Hals wird eng. Ich sehe mich hinunter zum Badesee gehen, nachdem mir Mama erzählt hat, dass er tot ist. Ich lief hinaus, obwohl es in Strömen regnete. Starrte auf den See, als ob von dort eine Antwort zu erwarten war. Und als ob Papa von dort wiederkäme.
»Das arme Kind. Es muss sehr schwer für sie sein.«
Hubertus räuspert sich. »Bestimmt. Allerdings habe ich sie seit Daniels Tod nur ein- oder zweimal kurz gesehen. Alexandra hält es für besser, wenn wir in Mias Gegenwart nicht über Daniel oder seinen Tod sprechen.«
»Aber das ist falsch!«, möchte ich rufen. »Ihr müsst mit ihr über Daniel reden. Und ihr müsst ihr zuhören.«
Stattdessen erkundige ich mich: »Was möchte Alexandra denn holen?«
»Sie glaubt, dass Mias Inlineskates noch bei Daniel sind. Ihre Klasse macht einen Ausflug, es geht auf die Rollschuhbahn.«
»Kennst du Alexandra gut?«
»Recht gut. Daniel und sie waren fast sieben Jahre verheiratet, und wir sind alle nach wie vor eng miteinander befreundet. Daniel hat Mia ab und an betreut.«
»Ab und an?«
Hubertus’ Stimme ist anzumerken, dass er sich hin- und hergerissen fühlt zwischen der Loyalität zu seinem toten Freund und der Wahrheit.
»Nun ja … Daniel war nicht immer besonders engagiert. Obwohl er Mia über alles geliebt hat.«
Mir ist schon früher aufgefallen, dass Väter ihre Kinder auf eine eher abstrakte Weise lieben. Sie werden erst in ihrer direkten Gegenwart zu Vätern, vergessen sie im Alltag jedoch oft. Mutter ist man dagegen immer. Auch ich habe vorhin als Allererstes an Benny gedacht und mich gefragt, ob er pünktlich aufgestanden ist. Obwohl mein Sohn keinen Wert mehr darauf legt, eine Mutter zu haben.
Ich entscheide mich, Hubertus zu erlösen und Verständnis für Daniel zu zeigen. »Es ist für geschiedene Väter bestimmt nicht immer einfach, die Verbindung zu ihren Kindern zu halten.«
Hubertus klingt erleichtert. Vielleicht ist er selbst ein geschiedener Vater. »Du kümmerst dich also um Alex? Ich habe zwar keine Ahnung, wo die Skates sein könnten –«
»Im Regal im Kinderzimmer. Ich hab sie schon gesehen«, unterbreche ich ihn.
»Na, dann. Und wegen heute Abend, ich hole dich wie gestern besprochen kurz vor acht ab.«
Ich will mich schon verabschieden, da fällt mir noch etwas ein. »Muss ich mich besonders schick anziehen?«
Hubertus lacht. »Nein, nein, wir bleiben doch bei uns zu Hause. Von mir aus kannst du im Bademantel kommen.«
Nach einer Dusche, bei der ich mich großzügig aus Daniels Vorrat an Hotel-Duschgels bediene, schlendere ich zur Hoheluftchaussee, wo ich bei einem Portugiesen ein belegtes Brötchen esse und einen Kaffee trinke. Während ich in verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen blättere, beobachte ich die anderen Gäste und komme mir aufregend verbummelt vor.
Bei uns in Bienenholz gibt es zwar auch ein Café,
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