Erdbeerkönigin
später in frischer Unterwäsche kritisch über meine Reisetasche.
Von mir aus komm im Bademantel, hat Hubertus gesagt. Ich denke an seine gepflegte Erscheinung, das schwarze, gut geschnittene Poloshirt, die glänzenden schwarzen Lederschuhe. Deshalb lässt mich die Vorstellung, wieder in meine karierte Bluse und die Cordweste zu schlüpfen, erschauern. Wann habe ich aufgehört, mich für Mode zu interessieren? Früher bedeutete der Wechsel der Jahreszeiten für mich auch immer das begeisterte Umräumen des Kleiderschranks, oft gemeinsam mit Alissa, während die Kleinen in Bennys Zimmer spielten. Ich konnte es kaum erwarten, die Sommerkleider wieder vom Dachboden zu holen. Ich kannte jedes Modegeschäft in der Nähe und fuhr gern nach Hannover, um dort in den Boutiquen zu stöbern. Warum ist das heute nicht mehr so? Ich durchsuche den Inhalt meiner Reisetasche. Als ich ein Paar Socken in der Hand halte, durchfährt mich blitzartig die Erkenntnis: Mode interessiert mich nicht mehr, weil ich mich und Nick nicht mehr als Liebespaar erlebe. Denn wir versprechen uns doch von neuen Kleidern, dass sie uns hübscher machen. Vor allem, um den Menschen, die wir lieben, zu gefallen. Während ich die Socken in den Fingern drehe, wird mir klar: Ich selbst empfinde mich nicht mehr als begehrenswert. Und ich begehre Nick nicht mehr. Früher freute ich mich auf den Blick in seine Augen, wenn ich ihm eine neue Bluse vorführte, die mein Dekolleté besonders schön zur Geltung brachte. Oder wenn ich ihn mit einem Nachthemd überraschte, das gewagter war als üblich. Nick war stolz auf mich – und auf sich, weil er sich mit mir an seiner Seite als erfolgreicher Eroberer fühlte.
Aber nach Bennys Geburt haben wir uns zunehmend vom Liebespaar zu Eltern gewandelt. Anfangs drehte sich alles um Benny, und ich war sogar ein wenig erleichtert, mich als Mutter nicht ständig fragen zu müssen, ob ich gut aussehe, ob mich Nick erotisch findet oder ich mich von ihm angezogen fühle. Wir haben zwar schon kurz nach Bennys Geburt wieder miteinander geschlafen, aber es war nicht mehr entscheidend, ob es ein einmaliges Erlebnis wurde. Weil wir immer die Möglichkeit hatten, miteinander zu schlafen, haben wir leider viele Möglichkeiten verpasst.
Wir kamen uns sogar eine Zeitlang sehr erwachsen, reif und mit einer neuen Gelassenheit gesegnet vor, wenn ich einmal nicht kam oder Nick manchmal keine Lust hatte, und wir haben nicht gemerkt, dass diese schleichenden Vorboten eine Änderung in unserem Verhältnis ankündigten. Erst als Nick einmal nach mir suchte und »Mama?« rief, bin ich eingeschritten und habe ihm klargemacht, dass nur Benny mich so nennen darf. Ich kann mich doch nicht einem Mann hingeben, der mich Mama nennt!
Nachdenklich lasse ich die Socken in die Reisetasche fallen. Hingabe … Wann habe ich mich Nick das letzte Mal vollkommen hingegeben? Wir schlafen regelmäßig miteinander, und manchmal mache ich es, um ihm einen Gefallen zu tun. Weil wir doch aus unzähligen Ratgebern in Illustrierten und aus Blogs im Internet wissen, dass eine Ehe nur gut läuft, wenn man regelmäßig miteinander schläft. Dabei habe ich mich häufig gar nicht sexy gefühlt und wollte es manchmal sogar schnell hinter mich bringen. Misstrauisch mustere ich den Inhalt meiner Reisetasche. Was soll ich denn nur anziehen?
Während ich ratlos in der Tasche wühle, fällt mir Daniels Kleiderschrank ein. Kurzfristig kommen mir Bedenken. Ist das nicht – ich scheue mich, das Wort zu denken – Leichenfledderei? Aber dann stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn Daniel noch lebte und ich ihn besuchte. Sicher würde er mir gern sein weißes Smokinghemd ausleihen, das mir gestern schon aufgefallen ist. Es hat umschlagbare Manschetten mit geraden Ecken, für die ich in seinem Schrank zweifellos ein Paar Manschettenknöpfe finden werde. Jetzt greife ich in meine Tasche und hole den dunklen Anzug heraus, den ich für Mamas Beerdigung gekauft hatte. Per Internet. Schlicht geschnitten, mit einer kürzeren Jacke und einer weiten Marlene-Hose. Nur weil ich dann letztlich nicht zur Beerdigung gegangen, sondern nach der Trauerfeier in der Kirche getürmt bin, muss der Anzug ja nicht verknittern. Ich suche zwei Bügel und hänge das gute Stück auf. Dann mache ich mich auf die Suche nach den Manschettenknöpfen.
Tatsächlich entdecke ich sofort ein kleines Kästchen, in dem verschiedene liegen. Ich wähle silberne mit einem blauen Stein aus. Das Smokinghemd hat lange,
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