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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schütze
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Hubertus es genannt – aber ich sehe auf den ersten Blick, dass es ein Kinderzimmer ist. Rosafarbene Barbie-Bettwäsche, an den Wänden Poster von Popstars, vom Kinofilm »Bibi Blocksberg« und Seifenopern-Darstellern. Im Regal Inlineskates, alte Pixi-Bücher, ein zerfleddertes Exemplar von »Wir Kinder aus Bullerbü«, CDs von »Benjamin Blümchen« und »Bibi und Tina«.
    Als ich dann noch CDs von Rolf Zuckowski entdecke, spüre ich einen Kloß in meinem Hals. Wie viele Stunden haben Nick, Benny und ich bei Ausflügen an die Ostsee auf der Autobahn Zuckowskis Lieder mitgesungen. Nick bekam bei »Ich hab mich verlaufen« automatisch feuchte Augen.
    In diesem Zimmer eines mir unbekannten Kindes bin ich unvermittelt erfüllt von einem Gefühl großer Dankbarkeit für Bennys schöne Kinderzeit. Wie viel Glück hatten wir mit diesem gesunden, munteren kleinen Kerlchen! Immer hatte er gute Laune, jeden Vorschlag beantwortete er mit einem jubelnden »Au ja!«. Wie stolz war ich auf meine kleine Familie. Auf Benny und auf Nick. Das bin ich heute immer noch, aber es fällt mir im Alltag immer schwerer, diesen Stolz zu fühlen. Nicht nur, weil Nick seine Arbeit liebt und meine Jobs mich gut beschäftigen. Sondern weil wir mit Freunden, Nachbarn und Kollegen dazu noch jede Menge Verpflichtungen eingegangen sind, die wir gern erfüllen möchten. Nachbarschaftstreffen, Sitzungen im Sportverein, in dem Nick im Vorstand ist, Geburtstage im Klinik-Team, Grillabende des Elternchors, Picknicks, Weihnachtsfeiern. Das Haus, der Garten, Benny – wir haben so viel auf dem Zettel, dass wir uns häufig aus den Augen verlieren. Ich bin schon froh, wenn ich manchmal ein wenig Zeit für mich habe, um zu lesen, zu dösen, meine Gedanken zu ordnen.
    Während ich auf das Regal starre, in dem ein unbekanntes kleines Mädchen seine Spielsachen aufbewahrt, fallen die letzten Jahre von mir ab und ich erinnere mich an früher. Als Benny klein war, lümmelten wir alle drei stundenlang wie ein großer Knäuel Glück auf dem Sofa, eingekuschelt in den Armen der anderen, den tröstlichen Duft der anderen in der Nase, vertraut, aufgehoben, geborgen. Der Gedanke daran erfüllt mich mit Wärme, und gleichzeitig schmerzt das Wissen, dass es vorbei ist. Ich wische mir eine Träne von der Wange. So ist das mit dem Glück: Es erwischt uns manchmal, wenn es gar nicht passt. Und es kann weh tun.
    Auf dem kleinen Schreibtisch steht eine Vergrößerung des Fotos vom Kühlschrank: Daniel mit dem lachenden Baby. Also hat er eine Tochter. Wo sie jetzt wohl gerade ist? Ich blicke mich suchend um, als ob jeden Moment ein kicherndes Mädchen aus dem Schrank springen würde. Hinter den Büchern sitzt im Schatten des Regals eine kleine Stoffente mit großen traurigen Augen. Ich ziehe sie hervor. »Na, du?« Der weiche Stoff in meinen Händen tröstet mich auf unerklärliche Weise. Ich setze das Spielzeug vorsichtig auf das Kopfkissen des Bettes und verlasse leise den Raum.
    Als ich das Wohnzimmer wieder betrete, höre ich erste Vogelstimmen. Das sattschwarze Dunkel der Nacht weicht einem zarten Grau. Ich trete auf den Balkon und betrachte die Fensterreihen der gegenüberliegenden Häuser, auf der anderen Seite der Hochbahn. Vereinzelte Fenster sind erleuchtet. Dass die Luft vertraut nach Jasmin und Linden duftet, erstaunt mich genauso wie der Umstand, dass unten auf der Straße Menschen unterwegs sind. Pärchen, kleine Gruppen, aber auch einzelne Männer und Frauen, späte Nachtschwärmer, vielleicht auch Leute, die von der Nachtschicht kommen oder bereits zur Arbeit müssen.
    Ich stehe lange auf dem Balkon und sehe der Stadt beim Aufwachen zu. Als die Morgensonne eine Lichtsilhouette um die Häuser legt, kehre ich auf das Sofa im Wohnzimmer zurück. Zu meiner Erleichterung fühle ich mich nicht mehr so einsam und schlafe schnell wieder ein. So, als hätten meine Erinnerungen auf dem nächtlichen Spaziergang durch Daniels Wohnung den fremden Räumen auch etwas von mir erzählt. Als würde die große Stadt da draußen auf mich aufpassen.
    Ich schlafe bis zum Mittag. Das Klingeln meines Handys weckt mich. Es ist Hubertus, der sich überraschenderweise sehr erleichtert zeigt, als er merkt, dass er mich aus dem Schlaf gerissen hat.
    »Ich hatte ein wenig Angst, dass du dich in Daniels Geisterwohnung fürchten würdest«, bekennt er. »Mich selbst beschleicht immer noch ein etwas mulmiges Gefühl, wenn ich mich dort aufhalte. Ich bin dann immer noch von der irrwitzigen

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