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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schütze
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Tasten und die schwarzen Knöpfe, und mir wird klar, dass ich nie, nie, nie wieder Akkordeon spielen will.
    Mias leises Schluchzen dringt in meine Erinnerung. Am liebsten würde ich zu ihr gehen, sie in den Arm nehmen und trösten. Aber was soll ich sagen: »Alles wird wieder gut?« Ich als Erwachsene weiß, dass es eines Tages besser wird. Heute spüre ich diesen Hunger nicht mehr jeden Tag. Aber seit Mama tot ist, ist er wieder häufiger da. Vor allem aber weiß ich, dass das, weswegen dieses Kind weint, nie wieder gut wird.
    Also ziehe ich die Tür leise wieder zu. Klassische Musik dringt über den Flur. Eine wunderbare Stimme singt etwas auf Englisch. Es ist sehr schön und sehr traurig. Ich betrete die Küche. Dort hat Alexandra mittlerweile mehrere Bücher auf dem Tisch gestapelt. Immer noch umspült uns diese bezwingend schöne, melancholische Musik. Alexandra hat wieder geweint, und sie hört der Musik mit einer Intensität zu, die mich erschreckt. Als sie meinen Blick sieht, schaltet sie das Gerät aus. Ihre Stimme zittert, als sie sagt: »Ich wusste gar nicht, dass er diese CD aufbewahrt hat.« Sie nimmt eine offenbar selbst gebrannte CD aus dem Player. »Was ist das?«, wage ich zu fragen. Alexandra zuckt mit den Achseln. »An unserem ersten gemeinsamen Abend sind wir nach einer Vernissage an die Elbe gefahren, und dort hat er mir dieses Stück vorgespielt.« Sie lächelt bei der Erinnerung daran. »Damals hatte man noch diesen Walkman für CDs.« Ihre Stimme nimmt jetzt einen träumerischen Klang an. »Der Himmel über der Elbe und diese Musik …« Sie schiebt die CD in eine leicht befleckte Papierhülle. »Hast du etwas dagegen, wenn ich sie mitnehme?« Ich schüttle den Kopf. »Natürlich nicht – mir gehört hier doch nichts. Ich wohne nur zufällig für eine kurze Zeit hier.«
    In diesem Moment kommt Mia in die Küche. Ihre Augen sind gerötet und sie trägt Daniels grünen Schal um den Hals. Alexandra sieht sie besorgt an. Mia erwidert ihren Blick trotzig und wütend. Also fragt Alexandra nur: »Ist das Papas Schal?«
    Mia nickt. »Kann ich den?« Sie verdreht die Augen, presst die Lippen zusammen und sagt dann betont langsam: »Haben. Kann ich den haben?«
    Alexandra nickt. Mia lehnt sich an den Kühlschrank. Das Bild von Daniel als junger Vater hängt genau neben ihrem Gesicht. Und jetzt erkenne ich auch eine Ähnlichkeit in dem Schwung der Augenbrauen und dem Schnitt ihres Mundes, der mir vorher nicht aufgefallen ist. Sie fragt: »Können wir dann los?« Sie wippt nervös auf den Zehenspitzen. »Du hast es mir versprochen.«
    »Du hast recht«, erwidert Alexandra, und sie sieht mich bedauernd an. Sie erklärt: »Mia hat sich mit Freundinnen im Schanzenviertel verabredet. Ich hab versprochen, sie dorthin zu fahren. Schade, wir haben uns gerade so gut unterhalten.«
    Nach einem weiteren nachdenklichen Blick fragt sie kurzentschlossen: »Was hast du denn heute noch vor? Magst du nicht mitkommen?«
    Ich kenne das Schanzenviertel nur aus den Fernsehnachrichten, wenn im Mai dort randaliert wird. Etwas lahm frage ich: »Was wollt ihr denn da?«
    Mia sieht mich erstaunt an. »Bummeln, Eis essen, abhängen. Die Schanze ist cool.«
    Ich wechsle mit Alexandra einen amüsierten Blick. »Abhängen, aha. Das habe ich schon viel zu lange nicht mehr gemacht.«
     
    Wenig später sitzen wir in Alexandras gepflegtem Golf. Mia hat zwei vollgestopfte Plastiktüten mit Plüschtieren, CDs und Barbie-Equipment aus dem Kinderzimmer geborgen. Sie hat nicht zugelassen, dass Alexandra hineinsieht. »Mama! Das ist meins!«, hat sie gemurrt, sich mit den Tüten auf den Rücksitz verzogen und Kopfhörer aufgesetzt. Ab und an hört man ein quietschendes Summen, wenn sie mitsingt.
    Ich traue mich zu fragen: »Hatten Daniel und Mia ein enges Verhältnis?«
    Alexandra beißt sich auf die Unterlippe. »Daniel hätte sich mehr kümmern können. Was ist daran bitte so schwer, wenn dein Kind obendrein in derselben Stadt wohnt wie du?«
    »Mama, bitte!«, lässt sich Mia hören. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass sie den Kopfhörer abgesetzt hat. Sie verdreht wieder einmal die Augen. »Mama redet immer schlecht über Papa.«
    »Das stimmt doch gar nicht!« Alexandra verzieht den Mund.
    Den Rest der Fahrt verbringen wir schweigend.
    Mia wirkt erleichtert, als Alexandra eine Parklücke ansteuert. »Das ist die Rote Flora«, sagt Alexandra und deutet auf ein heruntergekommenes Gebäude, das mit Graffiti beschmiert ist. Ein

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