Erdbeerkönigin
glücklicherweise aufgehört, und ein fast wolkenloser blauer Himmel spannt sich über der Stadt. Ich will gerade zu Udo und Bertram in den vierten Stock hinaufsteigen, als mein Handy klingelt.
»Hallo?«
»Eva, hier ist Hubertus.«
Ich lasse mich auf eine Stufe sinken. Hubertus kommt ohne Umschweife zum Punkt.
»Morgen in einer Woche ist die Urnenbeisetzung – und in der Woche darauf müssen wir die Wohnung dem Nachmieter übergeben.«
»Also übernimmt nicht Alexandra die Wohnung?«
Hubertus lacht. »Wie kommst du auf diese Idee? Nein, nein, das haben wir anders geregelt. Die Wohnung wird bis auf weiteres vermietet. Ich habe ein Konto dafür eingerichtet. Wenn Mia volljährig ist, kann sie entscheiden, was damit geschehen soll. Sie ist schließlich das Einzige, was Daniel ihr hinterlassen konnte. Ich habe die Wohnung jetzt erst einmal über eine Agentur laufen lassen und vermiete sie einem Kanadier, der für ein Jahr bei Beiersdorf arbeitet und mit seiner Familie kommt. Da er alles lediglich streichen will, haben wir Glück: Wir müssen sie nur ausräumen und besenrein hinterlassen.«
»Und was habe ich damit zu tun?«
»Theo und ich haben gedacht, dass wir nächste Woche noch einmal alle Freunde und Bekannte von Daniel in die Wohnung einladen, damit sich jeder ein Erinnerungsstück mitnehmen kann. Die wichtigen Dokumente habe ich ja schon in Sicherheit gebracht, und Filou hat die Gemälde und Artefakte von Wert in die Galerie geschafft. Aber es gibt noch so viele Bücher und DVDs und CDs …«
»Seine Klamotten«, fällt mir ein. »Ja, und das Geschirr. Ich könnte mir vorstellen, dass Alexandra gern die Zuckerdose hätte – die hat er ihr wohl einmal geschenkt. Und wann soll das stattfinden?«
»Einen Tag vor der Trauerfeier. Bist du eigentlich mit deiner Grabrede weitergekommen?«
Ich zucke die Achseln, obwohl Hubertus das nicht sehen kann. »Es geht voran.«
Hubertus ist zufrieden. »Na, dann ist ja alles besprochen. Ich denke, es sollte so gegen zwanzig Uhr losgehen. Die meisten kommen von der Arbeit, Theo und ich bringen eine Kleinigkeit zum Essen und Trinken mit. Wie findest du die Idee?«
»Prima«, sage ich mühsam, denn dass ich am Dienstag Daniels gesamte Clique plus Bekannte treffen soll, macht mich sofort nervös. »Kommt Francesca auch?«
»Selbstverständlich. Hast du damit ein Problem?«
»Nein, warum sollte ich?«
Jetzt ist es gut, dass mich Hubertus nicht sehen kann. Nachdenklich verabschiede ich mich. Die Vorstellung, Francesca leibhaftig zu treffen, macht mir Sorgen. Ich verlasse seufzend meinen Platz auf der Treppe und steige zu Udo und Bertram hinauf. Doch es ist keiner zu Hause. Also stopfe ich zwei Scheine durch den Briefschlitz. Sie werden schon wissen, von wem das Geld ist, wenn sie zurückkommen.
Unten in der Wohnung nehme ich mir erneut den Briefumschlag aus Daniels Sekretär vor. Noch einmal blättere ich durch die Papiere, die Zeichnungen, die Briefentwürfe. Aber wieder erfahre ich nichts Neues. Als ich den Umschlag zurücklegen will, entdecke ich auf dem Boden der Schublade einen Informationsbogen der Onkologischen Abteilung im Universitätskrankenhaus in Hamburg-Eppendorf. Obwohl es draußen so sommerlich warm ist, fröstle ich unwillkürlich. Die Krebsstation. Dort muss Daniel gestorben sein. Auch als Krankenschwester werde ich mich wohl nie an den Tod gewöhnen.
Die Stille der Wohnung lastet auf mir.
Und dann rufe ich aus einem Impuls heraus Dr. Lenchen an. Sie nimmt nach dem zweiten Klingeln ab.
»Eva! Wie schön, dass Sie sich melden. Sind Sie erkältet? Sie klingen ein wenig heiser.«
Ich muss lächeln. Dr. Lenchen kann man nichts vormachen.
»Nein, ich mache mir nur gerade Sorgen.«
Ich erzähle von dem gestohlenen Portemonnaie, von Hubertus’ Idee, alle Freunde zu versammeln, und dann noch von dem Zettel der Krebsstation. Nur von meinem Gedanken zu Nick und Antje sage ich nichts.
Dr. Lenchen hört mir teilnahmsvoll zu. Dann sagt sie: »Magst du heute Abend zum Abendbrot kommen? Ich habe das Gefühl, dass du eine Art seelischen Kater hast. Ich könnte dem katertauglich mit Hering und Gewürzgurken entgegenwirken.« Sie bemerkt nicht, dass sie mich duzt. Mir macht das nichts aus, im Gegenteil, es gefällt mir.
Die Einladung zum Abendessen freut mich, und nachdem ich zugesagt habe, lasse ich mir von ihr noch den Weg zum Universitätskrankenhaus erklären. Dr. Lenchen beurteilt mein Vorhaben kritisch.
»Willst du das wirklich auf dich
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