Erdbeerkönigin
gewesen.«
Und ich bei Mama, denke ich.
Mias Stimme ist kaum zu verstehen, als sie sagt: »Ich hab jetzt dauernd Angst um Mama. Wenn ihr etwas passiert, habe ich niemanden mehr. Papas Eltern sind schon lange tot, und Oma und Opa, also Mamas Eltern, wohnen in Cuxhaven. Und da gehe ich nicht hin!« Sie klingt so trotzig, als ob sie schon morgen ausziehen müsste.
Ich streichle ihr tröstend über den Rücken. »Das wird nicht geschehen. Deiner Mutter geht es doch gut.« Um sie abzulenken, frage ich dann: »Warst du häufig hier in Papas Wohnung?« Mia zuckt mit den Achseln. »Einmal im Monat ein Wochenende, manchmal in der Woche abends, wenn Mama etwas vorhatte. Und ein paarmal sind wir sogar verreist. Mama ist doch Kunstlehrerin und einmal, als sie auf Klassenfahrt war, sind Papa und ich auf einen Ponyhof gefahren. Und wir waren mal auf Sylt, als Mama eine Fortbildung gemacht hat.«
Sie wischt sich die Hände an ihrer Jeans ab. »Einmal haben wir zusammen ein tolles Kunstreferat gemacht. Über Malerei des zwanzigsten Jahrhunderts. Da haben wir einen kleinen Film zusammen gedreht, in der Galerie der Gegenwart, die ist in der Kunsthalle. Kennst du die Kunsthalle?«
Ich nicke.
»Das war toll! Wir hatten uns ausgedacht, dass ich eine Reporterin bin und dass es einen besonderen Kriminalfall gab.«
»Was für einen?« Ich kontrolliere, ob der Kuchen gar ist, und schiebe ihn dann noch einmal in den Ofen.
Mia grinst. »Das Blau war verschwunden.«
»Das Blau?«
»Ja, es gibt viele Bilder, in denen Blau nicht vorkommt. Diese Bilder haben wir rausgesucht und dann geguckt, wer die gemalt hat. Ich habe mich dann immer vor ein Bild gestellt, habe was dazu gesagt und gezeigt, dass das Blau fort war.«
»Und wo war das Blau am Ende?«
»Es war in den Himmel geflüchtet.« Mia lächelt. »Papa hat aus dem Fenster rausgefilmt, in den blauen Himmel.« Gedankenverloren nascht sie vom Puderzucker.
Wir holen den Kuchen aus dem Ofen und stellen ihn zum Auskühlen auf den Tisch. »Jetzt warten wir nur noch, bis der Teig so kalt ist, dass man die Erdbeeren drauflegen kann, dann rühren wir den Guss an. Und wenn Alexandra dich abholen kommt, können wir ihn essen«, sage ich.
Mia nickt. »Und bis dahin spiele ich dir meine Lieblingsmusik vor!«
Sie rennt durch die Wohnung, schleppt eine iPod-Station aus Daniels Arbeitszimmer in die Küche, die ich noch gar nicht bemerkt habe. Mia holt ihren iPod aus der Tasche. »Das ist mein letztes Geschenk von Papa, den darf keiner anfassen!«, verkündet sie, rückt die Lautsprecher zurecht, und dann dröhnt Hiphop-Musik durch die Küche.
Mia wippt im Takt der Musik. »Das ist toll, oder?« Sie macht ein paar Bewegungen und wirbelt dann um sich selbst. Sie wirft ihre Haare im hohen Bogen zurück, schwenkt die Hüften und wackelt mit dem Oberkörper. Für eine knapp 13 -Jährige sieht das erstaunlich erotisch aus. Aber auch sehr gekonnt.
Spontan klatsche ich Beifall, als der Song zu Ende ist.
Mia ist außer Atem. »Du darfst es Mama nicht sagen, aber ich werde Tänzerin.«
»Echt? Da hast du dir ja was vorgenommen!«
»Das weiß ich. Aber ich werde Tänzerin!«
Ich denke an all die Sprüche, die Eltern in solchen Situationen parat haben: »Mach erst mal die Schule zu Ende!« Oder »Das ist doch kein Beruf!« Ich sehe noch einmal in Mias leuchtende Augen, und dann schiebt sich Daniels Gesicht vor ihres. Daniels junges Gesicht, als er an der Elbe zu mir sagte: »Ich werde Maler.« Ich vergesse die erwachsenen Elternsätze. Stattdessen sage ich schlicht: »Ja, mach doch! Werde Tänzerin!«
Mia nickt begeistert. »Tanzt du mit mir?« Sie zieht mich vom Stuhl hoch. »Komm, ich zeig dir ein paar Schritte.«
Erst ziere ich mich, aber Mia ist so enthusiastisch, dass sie mich mitreißt.
Sie wählt den Track noch einmal aus und fängt an mitzusingen.
»Na na na, come on, na na na, come on! Los, Eva!«
So stolpere ich durch die Küche, während Mia klatscht, singt, zählt, Anweisungen gibt. Es klappt überraschend gut, aber dann verhake ich mich mit den Füßen hinter einem Stuhlbein, und wir landen beide kichernd und außer Atem auf dem Fußboden, wo wir umherkugeln, als hätten wir gerade Twister gespielt.
»So einen schönen Nachmittag habe ich schon lange nicht mehr erlebt«, sage ich. Ich spüre an meinem Arm, dass Mia nickt.
»Ich auch nicht. Du bist nett, Eva.«
»Du auch, Mia.«
Einen Moment lang liegen wir auf dem Küchenfußboden und genießen den Geruch des frisch
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