Erdbeermond: Roman (German Edition)
Luke so viel angestarrt hatte, fanden wir eine Wohnung. Ein Studio (das heißt ein Zimmer) in einem baufälligen Block in der Lower East Side. Es war winzig klein und extrem teuer, und die Dusche war in der Küchennische, aber wenigstens waren wir in Manhattan. Wir hatten auch nicht vor, viel Zeit da zu verbringen, aber so hatten wir einen Schlafplatz und eine Adresse – einen Fuß in der Tür, in dieser nackten Stadt. Zum Glück verstanden Jacqui und ich uns gut und hielten es miteinander in dieser Enge aus, obwohl Jacqui manchmal in Bars Männer aufriss, nur damit sie mal wieder in einer normalen Wohnung schlafen konnte.
Ich meldete mich sofort bei mehreren vornehmen Arbeitsvermittlungen an und legte meinen eindrucksvollen, nur wenig ausgeschmückten Lebenslauf vor. Ich ging zu ein paar Vorstellungsgesprächen, bekam aber kein Angebot und wollte schon anfangen, mir Sorgen zu machen, als ich eines Dienstagmorgens einen Anruf bekam, ich solle mich umgehend bei McArthur on the Park vorstellen. Anscheinend musste die vorige Inhaberin des Jobs in aller Eile »nach Arizona« (NYC-Jargon für »zur Entziehungskur»), und sie brauchten dringend jemanden auf Zeit, weil eine wichtige Präsentation bevorstand.
Ich hatte schon von Ariella McArthur gehört, weil sie – wie alle anderen auch – eine PR-Legende ist: um die fünfzig, aufgedonnert, mit Schulterpolstern, herrschsüchtig, ungeduldig. Es ging das Gerücht, dass sie nachts nur vier Stunden schlief (später stellte sich jedoch heraus, dass sie das Gerücht selbst in die Welt gesetzt hatte).
Ich zog also mein Kostüm an, machte mich auf den Weg und entdeckte, dass das Büro tatsächlich am Central Park liegt (achtunddreißigster Stock, und der Blick von Ariellas Büro ist berauschend, aber da man nur in ihr Allerheiligstes vorgelassen wird, um sich zurechtstutzen zu lassen, kann man ihn nicht richtig genießen).
Alle rannten hysterisch durch die Gegend, niemand sprach mit mir, jeder kreischte Befehle, dass ich etwas kopieren und etwas anderes zusammenkleben solle, und trotz dieser schäbigen Behandlung war ich geblendet von den Marken, die McArthur vertrat, und den hochkalibrigen Kampagnen, die sie lancierten, und ich dachte: Ich würde alles darum geben, hier zu arbeiten.
Anscheinend hatte ich die richtigen Dinge zusammengeklebt, denn man sagte mir, ich solle am nächsten Tag wiederkommen, am Tag der Präsentation selbst, als alle noch überdrehter waren.
Um drei Uhr nachmittags nahmen Ariella und ihre nächsten Mitarbeiter ihre Positionen an dem Tisch im Konferenzzimmer ein. Ich war auch da, aber nur, falls jemand etwas dringend brauchte – Wasser, Kaffee, die Stirn gewischt. Ich hatte Anweisungen, nicht zu sprechen. Ich durfte Blickkontakt aufnehmen, aber ich durfte nicht sprechen.
Während wir warteten, hörte ich, wie Ariella mit gedämpfter, aber eindringlicher Stimme zu Franklin, ihrem Stellvertreter, sagte: »Wenn ich diesen Kunden nicht kriege, werde ich zur Mörderin.«
Für diejenigen, die die Candy-Grrrl-Geschichte nicht kennen – und weil ich seit so langer Zeit damit lebe, vergesse ich manchmal, dass es Leute gibt, die sie nicht kennen –, Candy Grrrl nahm seinen Anfang mit einer Maskenbildnerin namens Candace Biggly. Sie fing an, ihre eigenen Produkte herzustellen, wenn sie die gewünschte Farbe und Beschaffenheit nicht kriegen konnte, und das machte sie bald so gut, dass die Models, die sie schminkte, ganz scharf darauf waren. Langsam sickerte von den Fabelhaften an der Spitze durch, dass Candace Bigglys Zeug etwas Besonderes war – der Hype hatte begonnen.
Dann kam der Name. Zahllose Leute, einschließlich meiner eigenen Mutter, erzählten, dass »Candy Grrrl« der Spitzname war, den Kate Moss sich für Candace ausgedacht hatte. Es tut mir Leid, Sie enttäuschen zu müssen, aber das stimmt nicht. Candace und ihr Ehemann George (ein Schleimer) beauftragten eine teure Werbeagentur, die den Namen (wie auch das Logo mit dem schmollenden Mädchen) erfand, aber die Kate-Story ist in die Volksmythologie eingegangen, und warum soll sie da nicht bleiben.
Langsam schlich sich der Name in die Beauty-Seiten der Zeitschriften ein. Dann wurde ein kleines Geschäft in der Lower East Side eröffnet, und Frauen, die sich zuvor niemals südlicher als die 44ste Straße gewagt hatten, pilgerten nach Downtown. Dann wurde ein weiteres Geschäft eröffnet, diesmal in L. A., dann eins in London und eins in Tokio, und dann passierte das Unvermeidbare: Candy
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