Erde
mysteriöser Komplementarität – der sich richtig zusammenfügenden Pheromone. Lucy und Ingrid hatten für ihn wie Göttinnen gerochen, wie er sich erinnerte… Ähnlichkeiten zwischen zwei sonst völlig verschiedenen Geliebten, die er mit mehr als einem Jahrzehnt dazwischen gekannt hatte. Wenn nur eine Komplementarität alle anderen mit sich brächte, dachte er wehmütig. Dann brauchten wir nur herumzugehen und einander hinter dem Ohr zu beschnuppern, um die perfekte Partnerin zu finden.
»Mir geht es wirklich gut. Viel entspannter.« Er warf die Schultern zurück und reckte sich. »Du würdest eine gute Masseuse abgeben.«
Ihre Augen schienen zu zwinkern. »Das war ich sogar. Eines Tages zeige ich dir meine Lizenz.«
»Ich glaube dir durchaus. Und… danke für die Geduld!«
Sie schaute zu ihm auf. Da sie es zu erwarten schien und er es wohl wirklich verlangen müßte, nahm Alex sie in die Arme und küßte sie. Aber während dieser ganzen Zeit tadelte er sich selbst.
Sie hat es besser verdient. Viel besser, als du ihr jetzt geben kannst.
Natürlich hatte sie ihre eigenen Erinnerungen und Ängste. Während er sie hielt, fragte Alex sich, ob sie vielleicht ihm gegenüber die gleichen Gefühle hatte wie er für sie. Mehr dankbar als verliebt.
Manchmal genügte es schon, jemanden zu haben, den man festhalten konnte.
Alex begrüßte die diensthabenden Techniker, als er ankam. Die ihrerseits winkten und grüßten ihren tohunga, ihren pakeha- Expertenfür schreckliche Ungeheuer und chthonischen Exorzismus. Einige von ihnen krochen über ein Gerüst, das den schimmernden Resonator für Gravitationswellen umgab, und warteten ihn wie erforderlich. Die nächste Runde ihrer Gruppe würde erst in einigen Stunden fällig sein; darum nutzte fast jeder die Pause, um etwas Schlaf nachzuholen.
Diejenigen von uns, die es können.
Er nahm an seiner Arbeitsstation Platz, berührte Paneele und ließ Displays aufleuchten. Das subvokale Gerät ließ er in seinem Ständer. Kürzlich hatte er Schwierigkeiten gehabt, den überempfindlichen Apparat zu kontrollieren. Er nahm zu viele zufällige, nutzlose, oberflächliche Gedanken auf, die sich ständig durch ein Verkrampfen der Kinnbackenmuskeln und wiederkehrende Verengung der Kehle bemerkbar machten.
All right, dachte er grimmig. Wie hoch ist die letzte Zahl von Toten?
Alex stellte die spezielle Datenbasis ein, die er eingerichtet hatte, um ihrer Schuld auf den Fersen zu bleiben. Sofort entrollte das Bild ganz links eine Liste von ›Vorfällen‹, über die in den Medien berichtet war und deren Zeit und Ort mit einem ihrer austretenden Strahlen zusammenfielen… ein zerrissener Zeppelin… eine kleinere Flutwelle… ein vermißtes Flugzeug… ein meilenlanger Süßwassertanker, dessen Achterende abrasiert worden war.
Sicher wäre manches davon ohne unsere Einmischung passiert.
Ja, gewiß. Unglücksfälle ereigneten sich zu jeder Zeit, besonders auf See. Das Sediment des Ozeans bestand zu dieser Zeit aus einem Regen von Müll menschlicher Produktion, untergegangener Schiffe und Myriaden anderer Abfälle.
Aber ein Blick auf die Liste zeigt Alex, daß vieles davon niemals zu der anwachsenden Schicht auf dem Meeresgrund beitragen würde. Manches würde höchstwahrscheinlich überhaupt nicht mehr auf der Erde sein.
Er dachte an Teresa Tikhana, die erste ihm bekannte Person, die in diesem seltsamen Krieg jemanden verloren hatte. Sie hatte ihm verziehen und half jetzt sogar, die Last zu tragen. Und was waren schließlich ein paar Leben gegenüber zehn Milliarden?
Wie aber, wenn wir versagen? Diese Männer und Frauen hier werden kostbarer Monate verlustig gehen. Monate, die sie mit ihren Familien, mit Liebhabern, sommerlichem Himmel oder Regen verbringen könnten. Auch ihrer Abschiedswünsche beraubt.
Es schickte sich an, noch schlimmer zu werden, da das Projekt ausnehmend gut voranging. Bis dato hatte jeder der vier Resonatoren unabhängig gearbeitet. Fast jeder Gazer war entlang einer fast geraden Linie durch den Erdkern herausgekommen. Und ihren vier Plätzen gegenüber gab es nur freien Ozean.
Aber jetzt hatten sie die richtigen Parameter. Beta, ihr taniwha, hatte bei jeder Sondierung pulsiert und gebebt. Jedesmal, wenn es verstärkte Gravitonen zurückspiegelte, erfuhr es auch einen Anstoß. Diese Stöße begannen sich aufzusummieren. Bald, wenn das Glück beständig war, würde die Mulde seines Orbits aus dem kristallinen inneren Erdkern heraustreten.
Und so fing der
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