Erde
vorbeifuhren. Nachdem er dem Fahrer höflich gedankt hatte, hatte der junge Alex den langen Weg zum Hospitaleingang zurückgelegt, wobei er am Wasser entlangbummelte und die Schiffe anschaute. Für einige Zeit von Uniformen und Schulhoftyrannei befreit, genoß er es, eine kleine Weile mit dem Fluß allein zu sein, ehe er sich schließlich hineinbegab.
Wie erwartet, war Jen noch beschäftigt. Sie lief zwischen ihrem Forschungslabor und der Klinik hin und her und gab beiden Gruppen von Assistenten abgeänderte Instruktionen, die noch mehr Chaos verursachten. Alex wartete geduldig, auf einem Laborschemel hockend, während Patienten aus ganz Großlondon untersucht, gestochen und durchleuchtet wurden, um herauszufinden, was ihnen fehlte. Damals, als sie noch in praktischer Medizin arbeitete, pflegte Jen sich zu beklagen, daß man ihr immer die Fälle schickte, die kein anderer diagnostizieren konnte. Als ob sie es anders hätte haben wollen.
Laboratoriumsforschung interessierte Alex, aber Biologie kam ihm so düster, disziplinlos und subjektiv vor. Während er sah, wie sie die Opfer von einem Dutzend verschiedener moderner städtischer Krankheiten untersuchten, die durch Verschmutzung, Streß oder Übervölkerung verursacht waren, fragte er sich, wie die Leute überhaupt irgend etwas herausbringen könnten.
Zum Glück kam ein Techniker zu seiner Rettung mit einem Stapel Papier; und bald war Alex in Mathematik vertieft. An jenem Tag – er erinnerte sich in späteren Jahren lebhaft daran – war es die wunderbare, verzwickte und anspruchsvolle Welt der Matrizen, die ihn bezaubert hatte.
Schließlich rief Jen ihn, als sie ihren Labormantel auszog. Kurz, aber täuschend kräftig, ergriff sie seine Hand, als sie das Hospital verließen und zwei Fahrräder an einem Leih- und Abgabestand bei dem erhöhten Fahrradweg mieteten.
Alex hatte gehofft, daß sie ein Taxi nehmen würden. Er jammerte über das Wetter und die Entfernung, aber Jen erklärte energisch, daß etwas Nebel niemandem schaden würde und er die Übung brauchen könnte.
In jenen Tagen waren Fahrräder noch nicht die Herren der Straßen Londons, und Alex mußte einen quälenden Lärm von Hupen und Geschrei ertragen. Mit Jen Schritt zu halten, erschien wie eine Sache grimmigen Überlebens, bis sich schließlich die grünen Rasenflächen des Regent’s Park in willkommener Ruhe vor ihnen erschlossen.
Schwarze Fahnen hingen schlaff herunter, als sie die Räder an einem Kiosk neben dem Kanal abgaben, unter grünen und blauen Erdschutzplakaten. In der Nähe standen Demonstranten mit aschebeschmierter Stirn und protestierten zugleich gegen das Archenprogramm und die neueren Ereignisse, die das notwendig gemacht hatten. Ein Redner mit unordentlichem Haar sprach Touristen und Besucher mit einer Heftigkeit an, die Alex nie vergessen sollte.
»Unsere Welt, unsere Mutter, hat viele Teile. Jeder – wie die Organe in unseren Leibern, wie unsere Körperzellen – ist Teil eines synergistischen Ganzen. Jeder ist eine Komponente in dem delikaten Gleichgewicht von Zyklus und Gegenzyklus, der diese Welt so lange als eine Oase in der toten Leere des Raumes erhalten hat.
Was geschieht, wenn du oder ich ein Stück unser selbst verlieren? Einen Finger? Eine Lunge? Erwarten wir, danach genau so zu funktionieren? Wird das Ganze je wieder so gut arbeiten?
Wie können wir da so fröhlich sein bei der Verstümmelung unserer Welt? Unserer Mutter?
Gaias Zellen, ihre Organe, sind die Species, die sich ihre Oberfläche teilen!
Hier und heute werden Heuchler euch erzählen, daß sie Species retten. Aber wie denn? Dadurch, daß sie das, was übrig geblieben ist, amputieren und in einem Krug aufbewahren? Ebensogut könnte man einem Säufer die Leber herausschneiden und in einer Maschine konservieren. Zu welchem Zweck? Wer ist gerettet? Bestimmt nicht der Patient!«
Alex beobachtete den Redner, während seine Großmutter Tickets kaufte. Die meisten Worte des Burschen machten ihn den ganzen Tag bestürzt. Dennoch erinnerte er sich, fasziniert gewesen zu sein. Die Leidenschaft des Sprechers war ungewöhnlich. Die, welche sonntags am Speakers’ Corner redeten, wirkten vergleichsweise blaß und verschroben.
An eine Passage erinnerte er sich besonders deutlich. Der Bursche streckte den Passanten seine Hände entgegen, als ob er um ihre Seelen betete.
»…Menschen haben Intelligenz, Gefühl und Selbstbewußtsein in die Welt gebracht. Das läßt sich nicht bestreiten. Und das war an sich
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