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Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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gezüchtet haben, nachträglich als Lüge betrachten. Und meinen Liebesplanungskalender bis 2075 hat sie wahrscheinlich schon längst verbrannt.
    Es klopft.
    »Weg!!!«, brülle ich und werfe einen Schuh gegen die Tür, noch bevor der Klopfende überhaupt Seminarbeit oder Salzstreuer bestellen kann. Schritte entfernen sich auf dem Flur. Yannick drückt seinen Kopf gegen meine Hand, weil er spürt, dass nichts mehr stimmt. Denn genau so ist das für mich. Es ist das Worst-Case-Szenario, das schlimmste Gefühl, das es geben kann. Es gibt einen Raum in meiner Welt, da ist ein großer Hebel mit den Markierungen »okay« und »nicht okay« am Rande der halbrunden Skala. Männer können diesen Hebel überhaupt nicht bedienen. Ich kann mich mit ihnen streiten, ihnen aufs Maul hauen und ihnen sagen, was sie besser tun oder lassen sollen, ohne mich deshalb schlecht zu fühlen. Frauen allerdings betätigen den schweren Hebel mit Leichtigkeit, und bewegt er sich unter ihren Fingern ratternd in die Position »nicht okay«, ist die Welt für mich tatsächlich ausgehebelt. Ich existiere dann zwar noch, aber ich kann nicht leben, ohne alle paar Atemzüge Luftnot zu bekommen. Meine Magensäure wird so stark, dass sie die Bleikugel zersetzt und das Quecksilber austreten lässt. Ich habe nie verstanden, wie andere Männer lebendig bleiben und beim Trinken sogar darüber scherzen können, dass »die Alte daheim« gerade sauer ist. Ich bin ein lebender Toter in dieser Verfassung, und ich bleibe es so lange, bis die Frau auf Söckchen über die Dielen in den Kontrollraum geht, lächelt und den Hebel wieder auf »okay« zurückstellt.

    Ich schaue auf die Uhr. Drei. In zwei Stunden beginnt in Herne die Spätschicht. Ich rufe Stolle an.
    »Christoph Dabrowski«, begrüßt er mich.
    »Ich will wieder spielen. Kann ich zur Spätschicht kommen?«
    »Hast du deine Sachen geklärt?«
    Ich schweige. Nur ein Laut wie »humpf« fällt aus meinem Hals in den Hörer. Stolle ist unanlügbar.
    »Dann kann ich dich nicht spielen lassen.«
    »Aber ich brauche das heute.«
    »Wir haben heute Inspektoren hier. Wenn die sehen, wie einer mit voller Wucht ein Paket neben eine drei Meter breite LKW-Öffnung wirft, ist das Ansehen unserer ganzen Mannschaft dahin. Willst du das? Als meine Nummer 10?«
    Ich schnaufe.
    »Jetzt sei mal ein Mann und klär deine Sachen, du Funzel.«
    »Ja, ja …«, flüstere ich und lege auf.
    Ich erhebe mich, knete mit der linken Hand die Knorpel meiner Nase und poliere mit dem Daumen der rechten den Nagel meines Ringfingers. Ich muss raus, ich kann hier jetzt nicht bleiben. Caterina hat den Hebel nicht nur umgelegt, sie hat ihn mit beiden Händen gepackt, Schwung geholt und wie eine Figur bei einem Finishing Move mit so großer Wucht auf den Boden geknallt, dass die Dielen gebrochen sind und das ganze Kontrollgebäude spektakulär eingestürzt ist. Ich verlasse das Haus und laufe, weil es das ist, was ich tue, wenn ich aus der Welt gehebelt wurde. Laufen.

    Ich habe kein Ziel, wenn ich Verzweiflungslaufen praktiziere. Dachte ich jedenfalls. Bis ich mich plötzlich in unserem alten Wohnviertel wiederfinde. Die Brenscheder und die Wiemelhauser Straße treffen mit ihren beiden Ende die Marktstraße und rahmen in diesem Dreieck die Gaststätte Seier ein. Viele Jahre hat sie uns Trost in Form von Pommes Spezial gespendet. Gegenüber stehen die weißen Häuser mit den roten Dächern und blauen Dekorationsstreifen. Links daneben das IT-Büro, in dem Hartmut während seines Burn-outs den Kaffeefilter zwischen den Zähnen zerfetzt hat. Ich habe beim Laufen nur auf die Ritzen im Pflaster geguckt und meinen Füßen die Kontrolle überlassen – und sie haben mich hierhergeführt, zum Gelände unseres alten Hauses, das längst nicht mehr steht. Wo es war, ist jetzt karger, gepflegter Vorplatzboden, gesäumt von bepflanzten Keramiktöpfen. An der Kante hin zur Straße wurden Bäume direkt in den Boden gesetzt. Das neue Haus ist exakt um die Breite unseres alten Hauses nach hinten versetzt gebaut. Es ist groß, weiß und edel. Ich frage mich, ob sich unter dem Vorplatz noch unser alter Keller befindet oder ob sie die Katakomben einfach zugeschüttet haben. Behutsam setze ich auf dem Bürgersteig gegenüber Fuß vor Fuß zwischen die Ritzen. Ein Geschmack schießt mir auf die Zunge. Mayo, Ketchup, Zwiebeln und zuletzt, tief im fettigen Matsch, die halb aufgelösten Fritten. Ich will in Seiers Imbissbude gehen. Die tätowierten Veteranen

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