Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
hinter der Grilltheke sollen mir die Pommes Spezial einpacken, und dann will ich, dass sich bei jedem Schritt mit der Tüte über die Straße unser altes Haus wieder bildet. Stein für Stein, Ziegel für Ziegel. Die Fliesen sollen drinnen an die Wanne fliegen, und im Wohnzimmer sollen sich die 350 Spiele für die alte, graue Playstation klackernd ins Regal sortieren.
Ein Schild über den Fenstern und an der Flanke der Gaststätte verrät mir, dass das unmöglich ist. Das Gebäude steht zum Verkauf. Seier gibt es nicht mehr.
Ich überquere die Straße, und nichts Altes bildet sich neu. Da, wo jetzt die Pflanzenkübel stehen, war früher mein Zimmer. Ich schleiche links vom Haus den Weg entlang, der damals zur angebauten Scheune und dem Hinterhof führte. Mein Blick erhascht den perfekt gestalteten Garten. Wir selbst haben diese idyllische Hügellandschaft einst von zwei Landschaftsplanerinnen gestalten lassen, nachdem der Beamte Grün uns klargemacht hatte, dass die Stadt einen lebensgefährlichen und undurchschaubaren Urwald hinter dem Haus nicht duldet. Unsere verschnörkelte Rosenlaube steht noch. Caterina und ich haben darunter geturtelt, bis Hartmut die Szene wegen Kitschverbots unterbrach. Den Gartenteich – Irmtrauts erstes Zuhause, bevor sie in Motelbadewannen schwamm – haben die neuen Besitzer um das Doppelte vergrößert. Er hat jetzt zwei Ebenen.
»Ja, sieh mal einer an!«, ertönt hinter mir eine Männerstimme. Ich zucke zusammen. Ich fühle mich hier zwar zu Hause, bin aber unbefugt auf dem Grundstück. »Unser alter Nachbar!«, sagt die Stimme. Ich atme aus. Sie kommt nicht aus dem neuen Haus, sondern vom Gartenzaun der Mietshäuser links des Anwesens. Herr Häußler steht neben seinem Schuppen, auf eine Schaufel gelehnt. Als Hartmut damals im Viertel absichtlich den Notstand verursacht hat, wurde darin von Fremden Unzucht getrieben. Herr Häußler hat immer noch seinen Bart. Er hat ein Loch ausgehoben. Daneben steht ein kleiner Baum. Der Ballen ist noch mit Jute umhüllt.
»Mächtiges Haus«, sage ich und zeige auf den noblen Bau, der unseren ehemaligen »Schandfleck des Viertels« ersetzt hat.
»Familie Hubert«, sagt Herr Häußler und reibt sich die Nase mit seinem Gartenhandschuh. »Anständige Leute. Er macht in Elektronik. Seine Firma sitzt im Technologiezentrum Ruhr, an der Uni.«
Ich nicke und schaue sinnierend in den Paradiesgarten.
Herr Häußler sagt: »Und Sie? Was macht die Familie?«
»Gut, gut«, antworte ich. »Wetter stimmt. Katze schnurrt …«
»Schön«, sagt Herr Häußler. Ich habe den Eindruck, dass er weiterpflanzen will.
»Ja, dann geh ich mal wieder«, sage ich, und Herr Häußler lupft seine grüne Baseballkappe mit Aufdruck eines Gartencenters.
»Wir sehen uns ja dann«, sagt er, viel spontaner als jeden anderen Satz gerade beim Smalltalk. Ich bleibe stehen, schaue zu ihm zurück und runzele die Stirn.
»Irgendwann mal!«, fügt er schnell hinzu, »meine ich. Irgendwie, irgendwo, irgendwann.« Er lacht und zeigt über die Straße zur Gaststätte. »Vielleicht kaufen Sie ja das Seier. Oder Ihr ehemaliger Mitbewohner. Dem ist doch alles zuzutrauen.«
Ich erwidere nichts. Herr Häußler fährt mit der Pflanzung fort. Das weiße Haus reflektiert das Sonnenlicht so stark, dass es mich blendet.
Nestor öffnet mit schwarzen, faltigen Ringen unter den Augen seine Tür. Die roten Adern glühen in seinem Augapfel. Sein Rachen stinkt, als pflege er das Hobby, heimlich tagsüber durch Ämter zu schleichen und an jedem Kaffeebecher zu nippen, dessen Inhalt bereits erkaltet ist oder der ungespült seit mehreren Tagen in der Teeküche steht. Ich stelle fest: Ab einem gewissen Alter kann man sich seine Freunde nicht mehr allzu wählerisch aussuchen.
»Ich bin noch nicht durch«, sagt er, und seine dürren Tastaturhände zittern, als er über seine Matratze zum Schreibtisch stakst. Links neben dem Laptop ragt ein zwei Meter hoher Stapel Maxi-CDs in die Höhe. Rechts hat der Turm einen knappen Meter Höhe angenommen.
»Links muss ich noch, rechts ist im Netz«, sagt er. Ich überfliege die Titel auf den schmalen Hüllen. »Look Who’s Talking Now« von Dr. Alban. »Mr. Vain« von Culture Beat oder »Max Don’t Have Sex With Your Ex« von E-Rotic.
»Ich bin neulich noch mal zum Trödelmarkt zurück«, erklärt Nestor, während er hastig tippt. »Habe dem Mann mit der Caught-In-The-Act-CD eine ganze Kiste Neunziger-Maxis abgekauft.«
»Du hast doch versprochen, dass
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