Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
erzählt, dass eine flüchtige Frau aus Tunesien im Anflug ist, wäre ich sofort zur Salzsäule erstarrt.«
Einen Augenblick lang schweigen alle, als könne niemand so recht an diese glückliche Fügung glauben. Khaled durchbricht die Stille, indem er mit den Schultern zuckt und sagt: »Mit Zufall im Leben ist es wie mit Landrover – fährst du viel, entdeckst du überraschende Wege.«
Er hat recht. Ohne den ganzen geplanten Aktionismus hätte es auch dieses ungeplante Happy End nicht gegeben. Oder, wie wir bei UPS sagen würden: Wer einfach alles vom Band reißt, findet auch die richtige Sendung.
Mario kann nicht mehr länger an sich halten. Er verfällt wieder in den feierlichen Singsang von vorhin und hüpft auf und ab: »Ist das schön! Dann können wir heute sogar drei Treuzeiten feiern!!!«
Jochen funkelt ihn an. Mario hält sich die Hand vor den Mund wie ein Mädchen, das ein Geheimnis verraten hat. Caterina sendet eine letzte Nachricht und steckt das Telefon weg.
»Äh, wie war das?«, fragt Hartmut, doch schon haut Nestor in die Tasten, die bunten Scheinwerfer geben Vollgas, und durch das Scheunentor strömen mit einem Mal ein paar Dutzend Leute herein.
»TREUZEIT!!!«, krakeelt in erster Reihe mein Arbeitskollege Martin. Wie ein Feldherr führt er die Traube von Freunden an, die wir vor Jahren in Bochum zurückgelassen haben. Kiffer Jörgen mit seinen Basedow-Augen. Hanno mit seiner gesamten Band, die heute Feierabend hat, da ein Pianist die Beschallung übernimmt. Sebastian, der unser »Institut für Dequalifikation« mit dem Rucksack verließ, um doch nicht malochen zu gehen, sondern anspruchsvolle Aufsätze ohne Bezahlung zu schreiben und dafür von der Hand in den Mund zu leben. Unsere ehemaligen Hausnachbarn sind da, Hans-Jürgen vom Anbau und Kirsten aus dem ersten Stock. Sogar die Familie Häußler von nebenan. Herr Häußler zwinkert mir zu. Er hatte sich verplappert an dem Tag, als ich über unser altes Gelände geschlichen bin. ›Wir sehen uns dann ja bald.‹ Er freut sich, dass ich jetzt erst begreife, was das bedeutet hat. Alle tragen feinen Zwirn, sogar Martin hat seinen Iro gestriegelt und eine Anzugweste über ein T-Shirt von Eisenpimmel gezogen. Die Gäste verteilen sich in die Bänke. Da sind Pia und Frank. Da ist Steven. Mir schießen die Tränen in die Augen, weil es ist, als wenn sich die Welt endlich wieder in früher verwandelt. Caterina knibbelt nervös an ihren Fingern herum und hat keine Tränen in den Augen. Susanne und Hartmut sind belustigt irritiert. Udo und Rahime schweben in einem Traum. Alles gibbelt, alles raunt, alles kichert. Bis Jochen die Stimme erhebt.
»Heute Abend!«, sagt er, und Mario dreht einen Spot auf ihn, »feiern wir das Wichtigste, was es auf dem ganzen Erdenrund gibt: dass die, die zusammengehören, wieder zusammenkommen.«
Die Menge klatscht.
Jochen hebt die Hände: »… und zu unserer eigenen Überraschung feiern wir das Ganze statt zwei sogar drei Mal!« Er schaut zu Rahime und Udo. Die verständigen sich wortlos und Rahime sagt, Udos Hand haltend: »Wir haben uns vor fünf Minuten erst wiedergefunden. Das müssen wir erst mal verdauen. Aber wir feiern gerne mit euch!« Zufrieden wie ein Gänsepaar hocken sie sich in die erste Publikumsreihe.
Mario zögert einen Augenblick, sagt »nun gut«, geht zu dem Glitzervorhang und zieht ihn zur Seite. Auf vier Schneiderpuppen stehen zwei Anzüge für Hartmut und mich und zwei Abendkleider für die Frauen bereit. Hartmut und Susanne schauen die Klamotten versonnen an.
Caterina mustert die Puppen und sagt: »Das passt mir nicht.«
Jochen hebt wieder die Stimme: »Die Treuzeit ist besser als die Hochzeit! Das Fest der Treuzeit macht dem Paar keinerlei Vorbereitungsstress, kommt zwar überraschend, aber immer im richtigen Augenblick.«
Mario tänzelt zu uns. »Dann zieht euch mal in aller Ruhe hinter der Bühne um.« Er dreht sich zu unserem Pianisten: »Nestor! Hau in die Tasten!«
Mein Scheinselbstmörder spielt eine sämige Barmusik, die Hartmut sofort erkennt. Ich habe sie schon hinter Nestors Tür gehört. Es ist »The Nightfly« von Donald Fagen. Mario führt uns hinter die Bühne und holt die Sachen von den Schneiderpuppen.
Susanne pflückt Yannick von ihrer Brust und reicht ihn Mario wie eine Schauspielerin in der Garderobe einem Assistenten ihren Chihuahua. Hartmut lacht und gibbelt. Seine Augen strahlen. Ich glaube, die Schläfenhärchen haben einen Zwei-Zentimeter-Wachstumsschub
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