Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Deutsch den Weg: »Als Erstes du fliegst nach St. Petersburg. Ist einfach. Linie. Günstig Preis. Tomatensaft. Aber dann? Rest mit Propellerflugzeug. Antonov-26. Reifen kaputt. Funk kaputt. Reparieren. Warten. Du fliegst nicht bis Dikson. Nein. Zwischenlanden. Immer da, wo Sprit günstig.«
»Das klingt so, als hättest du das schon mal gemacht«, sagt Andy.
»Onkel hat gemacht. Ist geworden ein bisschen verrückt im Kopf.« Ein rosa Handschuh legt sich auf meine Schulter. In den Unterarm ist ein Eisbär tätowiert. Zabolotnyi löst seine Hand und zutzelt an meinen Koteletten herum. »So kalt – dein Haar hier wird frieren zu zwei Stangen am Kopf. Können russische Kinder dran turnen.«
Ich löse mich vom bebärten Arm. Malte lächelt und schaltet die sibirischen Bilder auf seinem Display aus. Im Erdgeschoss erbricht sein Schlagzeuger Eintopf. »Warum wollt ihr mich eigentlich alle davon abhalten?«, rege ich mich auf.
»Wieso?«, wehrt sich Andy. »Zabolotnyi sagt doch nur, wie es ist!«
»Was ist das überhaupt für ein Name? Zabolotnyi? Ist das ein Vorname? Ein Nachname? Was ist das für ein Name?«
Zabolotnyi hebt die rosa Gummihand: »Was für ein Name ist Ronaldinho?«
Ich sage: »Den Propellerflug, das sehe ich ein, den mache ich. Das scheint ja auch hart genug. Aber bis St. Petersburg laufe ich.« Zabolotnyi schreit auf: »Was? Laufen will er?«
»Denk doch mal nach«, sagt Andy, »selbst bis St. Petersburg sind es noch locker 1500 Kilometer. Nehmen wir an, du läufst vier Kilometer die Stunde und acht Stunden am Tag. Das sind dann immer noch, ähm …«
»47 Tage«, antworte ich. »Das ist ja wohl machbar.«
Ich gehe in die Küche, stelle die Tasse ab, öffne den Kühlschrank und nehme ein Stück Gouda, das noch nicht schimmelweiß ist. In einer Schublade finde ich ein Messer, um mir etwas von dem wertvollen Fett-Eiweiß-Gemisch abzuschneiden. Ich werde es brauchen. Das Messer ist breit und spitz. Kein Küchenmesser, eher eine Waffe, die haarlose Männer in Armeehosen durch den Dschungel werfen.
Andy tritt in die Küchentür: »Das kannst du nicht bringen.«
Ich lasse vom Käse ab, senke den Kopf, schließe die Augen, öffne sie wieder, halte das Messer in Andys Richtung und unterstreiche damit die Worte: »Sag mir nicht, was ich nicht tun kann.«
Andy seufzt. Zabolotnyi kehrt zu seiner Arbeit zurück. Er tunkt den Mopp ins Wasser und wischt eine Bahn. Der Schlagzeuger kriecht mit aufgequollenem Gesicht die Treppe hinauf. Zabolotnyi macht Pause und geht an Malte vorbei die Stufen hinunter. Bevor sein Kopf aus meinem Blickfeld verschwindet, sehe ich noch, dass er sein Headset ins Ohr zurücksteckt.
Eine Stunde später stehe ich mit meinem Rucksack vor dem Club und schüttele Andys Hand. »Hier, für die Kaffeekasse.« Ich halte ihm einen Hunderter hin.
»Bist du verrückt?«, fragt er.
»Wo ich hingehe, brauche ich nicht mehr viel.«
»Und dich kann keiner mehr davon abbringen?«
»Nein.«
»Was ist dir passiert?«, fragt er.
Ich schweige.
Nach einer Weile sagt Andy: »Hier ist immer eine Matratze frei, falls du umkehrst.« Wahrscheinlich denkt er, ich gebe nach drei Tagen auf. Malte packt mit seinen Bandkollegen die Schlafsäcke in den kleinen Van, mit dem sie auf Tournee sind.
»Es ist egal, wie laut sie schreien«, sagt der Professor in meinem Kopf, »bei jedem Takt sind sie bereits Teil einer Zurichtung.«
»Was ist das hier für ein Chaos mit den CDs?«, motzt Malte und kramt auf dem Beifahrersitz herum. »Das ist alles doppelt und dreifach!«
Ich schaue ihm über die Schulter. Mein Blick bleibt auf dem Cover eines Albums hängen. Ein einsamer Wolf schreitet durch eine öde, kalte Landschaft. Kein Baum, kein Strauch. Nur wolkenverhangener Himmel und eine finstere Bergkette am Horizont. Vor allem aber fasziniert mich das Tier. Es fletscht die Zähne und ist fast wahnsinnig vor Zorn … gleichzeitig ist es verzweifelt und einsam. Ich weiß, dass es pathetisch ist. Ich mag kein Pathos. Der Professor hält es sogar für gefährlich. Der wahre Schmerz tönt woanders. Aber gerade deshalb passt es zu mir und meiner Lage. Wenn ich überhaupt etwas hören kann, dann etwas, für das zu mögen ich mich innerlich tadeln muss.
»Nimm sie«, sagt Malte, als er merkt, dass ich die Augen nicht von dem Bild kriege. »Wir haben sie im iTunes. Ich besitze sie außerdem als Platte. Die einzig sinnvolle Art, Musik zu sammeln. Entweder digital oder auf Vinyl. Mein Messie-Kollege hier versteht
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