Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
komme der Aufforderung nach. Als ich drinnen am Griff ziehe, um die Tür zu schließen, biegt sich die Innenverkleidung zu mir, während die Tür bleibt, wo sie ist. Marek beugt sich über meinen Schoß und greift die Tür am Fensterrand. Aha. Deswegen ist die Scheibe heruntergekurbelt.
»Ist ein wenig kaputt«, sagt er und freut sich anscheinend darüber, dass es nur »ein wenig« ist. Ganz kaputt hieße, gleich ohne Tür zu fahren.
Wenige Minuten später passieren wir das Ortsschild von Trójca, weiße Schrift auf grünem Grund. Eine kleine Kirche, weißer Putz, rote Ziegel, schmales Türmchen. Putzige kleine Häuser aus weißem Sandstein. Marek hält vor einer Wirtschaft und geht mit mir hinein. Es ist gerade mal Mittag, aber an einem großen runden Tisch begrüßen ihn zehn Männer, die alle bereits ein Bier und einen Wodka vor sich stehen haben. An der Bar sitzen zwei Frauen, die mit der Wirtin befreundet zu sein scheinen. Eine hagere mit kurzen schwarzen Haaren und eine, die aussieht wie Jennifer Rush. Sie trägt einen Blazer mit Schulterpolstern und hat eine voluminöse Achtziger-Jahre-Dauerwelle. Die Frauen schauen zu den trinkenden Männern und rollen die Augen. Ihr Blick ist so missgelaunt, als wären sie bei der Geburt in dieses Land geworfen worden, obwohl sie bei der Reinkarnationskontrolle ausdrücklich die Schweiz angegeben hatten. Die Wirtin ist blond und hat ihr leichtgelocktes Haar nach hinten gebunden. Sie wird wie ihre Freundinnen höchstens vierzig sein. Alle drei haben etwas Attraktives an sich; man sieht, dass diese Gesichter lebensfroh sein können, aber jeden Tag an ihren schönen Zügen gezerrt wird durch ein Leben in der trostlosen Provinz mit Männern, die um zwölf Uhr schon saufen. Marek wirft der Wirtin einen anzüglichen Blick zu und zwinkert. Er begrüßt seinen Stammtisch, klopft auf Holz und zieht zwei Stühle heran.
»Oh. Njet!«, sage ich, bevor mir einfällt, dass das russisch ist. Marek besteht darauf. Seine Freunde murmeln, grummeln, nicken, grüßen. Die Wirtin kommt herbei. Sie trägt einen breiten Gürtel aus braunem Leder, an dem eine große Geldbörse hängt. Marek greift nach ihrem Hintern, aber sie klatscht beiläufig seine Hand weg. Es ist unglaublich, dieses Gegrapsche, in einem deutschen Büro würde Marek gefeuert, angezeigt und in der ganzen Stadt als Frauenbelästiger gemieden. Hier wirkt das Grapschen und Hand-Wegklatschen wie ein jahrelang eingeübtes Ritual unter alten Bekannten. Was Marek will, weiß die Wirtin. Mich fragt sie »Piwo czy wódka?« und macht schon wieder kehrt, bevor ich überhaupt antworten kann. Ich schlussfolgere aus dem Mittagssuff der Männer, dass das »Bier und Wodka« heißen sollte, und hebe die Hand: »Nein. Ähm … was heißt nein auf Polnisch?«
»Nie«, antwortet Marek.
»Nie?«
»Ja, nie .«
Die Frauen an der Theke heben die Köpfe wie Flamingos. Die Wirtin strahlt. Das Lebensfrohe, das ich unter der finsteren Firnis der Gesichter bemerkt habe, tritt hervor.
»Du bist deutsch?«, fragt die Wirtin.
Ich nicke, schon selbstsicherer als vorhin, als ich noch meine Entnazifizierung durch die Autotür erwartete. Die Wirtin konzentriert sich und fragt mich möglichst akzentfrei, als wäre sie bei mir zu Gast und bewerbe sich als Hausdame: »Was möchtest du trinken?«
»Wasser.«
Die brummelnden Männer verstummen alle schlagartig. Marek ist wohl nicht der Einzige, der mich versteht. Oder sie finden grundsätzlich jede Bestellung schockierend, die nicht »piwo czy wódka« lautet.
Marek beklopft mich, schaut in die Runde und sagt: »Ahhh. Ein Witz. Dobry żart flaszki wart. Wodka ist ein slawisches Wort. Heißt eigentlich Wasser. Er will Wasser? Das heißt, er will Wodka!« Die Männer sind erleichtert. Ich bin also doch normal. Ich will nur Wodka.
Ich sage: »Nie. Nie. Nie. Ich meine wirklich Wasser. Gluck, gluck, gluck. Wasser. Wie aus dem Brunnen.«
Die Wirtin sieht zu den Frauen an der Bar. Die Schwarzhaarige zuckt mit den Schultern, aber Jennifer Rush schaut mich durchdringend an, fasziniert wie eine Naturforscherin, die einen seltenen Schmetterling entdeckt hat. Die Wirtin bringt ein Bier und einen Wodka für Marek und ein Glas Wasser für mich. Sie denkt immer noch, sie liege falsch, aber ich nehme es und trinke daran wie ein Verdurstender, lecke mir die Lippen und sage: »Ahhhh!« Die letzte Hoffnung der Männer verfliegt. Jennifer Rush kiekst wie ein Schulmädchen und nimmt schnell die Hand vor den Mund. Marek
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