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Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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das nachsieht. Mein Ziel ist real, aber auch mythisch. Ich muss daran glauben, dass die Insel zwar auf diesem Erdenrund liegt, aber dennoch nicht von dieser Welt ist. Eine Vorhölle aus Eis. Der Nicht-Ort schlechthin. Wird er zu einem JPEG auf einem Mobiltelefon, verliert er seine Gefahr. »Warenform!«, quäkt der Professor aus einer Küchenschranktür, »der Betrug des Gleich im Gleich.«
    »Jetzt lass das!«, sage ich und meine beide, den Professor und den Screamo-Sänger. Ich gehe zu ihm, den Kupferkaffee in der Hand, und greife nach seinem Telefon. »Mach den Browser zu.«
    »Alter, was hast du für ein Problem?«
    Sie meinen es ja alle nur gut mit mir. Im Regal liegt mein Buch. In der Tür zur Küche probiert der Schlagzeuger den ersten Löffel aufgewärmten Eintopf. Sein Gesicht zieht sich zusammen wie ein Trinkpäckchen, aus dem man ruckartig die Luft aussaugt. Er stellt den Teller weg, hält sich die Hände vor den Mund, stolpert an uns vorbei und rennt würgend die Treppe hinunter.
    »Das ist kein beschissener Urlaub für mich«, schimpfe ich, da Malte weiterhin mit den sibirischen JPEGs wedelt. »Es ist alles kaputt. Ich will verschwinden. Es soll lange dauern. Es soll nicht einfach sein und schnell gehen.«
    »Jetzt verstehe ich das!«, sagt Malte, und seine Verärgerung zerstäubt. »Das ist so eine Art Selbstbestrafung. Wo der Weg das Ziel ist. Wie damals beim Gang nach Canossa. Mein Cousin hat seine Band danach benannt. Walk To Canossa. Sie spielen so Wave-Kram.«
    Ich schaue den jungen Mann an, schwer atmend. Der Büßergang als Band. Warenform. Identitätsofferte. Des Professors Adern schwellen an. Malte sagt: »Also, wenn du einen Gang nach Canossa willst, dann musst du eigentlich laufen.« Er rülpst. »Tschuldigung.«
    Andy legt seinen Kranz aus Quittungen ab: »Jetzt setz ihm doch nicht solche Flöhe in den Kopf.«
    Malte hebt die Hände: »Hey, war doch nur Spaß.«
    Ich weiß, denke ich mir. Ihr Leidenssimulanten macht immer nur Spaß. Ihr merkt gar nicht mehr, wann ihr richtigliegt.
    »Malte hat recht«, sage ich. »Ich werde laufen.«
    Andy steht auf und berührt meine Schultern. »Hartmut. Wir kennen uns erst seit einem Tag, aber …«
    »Ich werde laufen!«
    Andy seufzt: »Gut, gut. Dann fragen wir mal Zabolotnyi, was dieser Weg bedeutet. Er müsste gleich kommen.«
    »Wer ist Zabolotnyi?«
    »Unser Putzmann.«
    »Ihr habt einen russischen Putzmann?«
    »Ja. Denkst du, russische Männer putzen nicht, oder was?«
    »Ihr seid ein Jugendzentrum. Wieso habt ihr überhaupt einen Putzmann?«
    »Wir werden von der Stadt gefördert«, sagt Andy. »Da gibt es jetzt diese neue Putzpauschale. Und die Gleichstellungsbeauftragte sorgt dafür, dass das Arbeitsamt bei Reinigungskräften die Männerquote einhält. Alles andere wäre ja auch …«
    Ich hebe die Hand: »Andy! Von so was will ich nichts mehr hören!«
    Andy sortiert weiter Quittungen, und ich drücke Kupferkoffein in meinen Körper. Keine Tasse später erscheint ein großgewachsener Mann auf der Treppe. Stahlblaue Augen, ein Gesicht wie ein 50er-Jahre-Filmstar und markante Kieferknochen. Er hat einen Eimer mit Wischmopp in der Hand. In seinem Ohr steckt das Headset eines Handys. Er schaut zu mir, dann auf sein Display, dann wieder zu mir. Er fixiert mich, ganz genau, als wolle er meine Hautporen zählen. »Ja«, sagt er, kurz und abgehackt, als hätte er zuvor überlegen müssen, in welcher Sprache er das kleine Wort raushaut. Er nimmt das Headset aus dem Ohr, wickelt das Kabel auf, nickt uns allen zu, zieht sich rosa Gummihandschuhe über und füllt in der Küche seinen Eimer mit heißem Wasser.
    »Zabolotnyi?«, spricht Andy den athletischen Putzrussen an.
    »Ja?«
    »Angenommen, jemand möchte nach Dikson reisen. Wie käme er dahin?«
    Zabolotnyi blickt auf: »Dikson in Sibirien? In Krasnojarsk?«
    Wir nicken.
    Er nimmt den vollen Eimer aus dem Becken und trägt ihn zur Tanzfläche vor der kleinen Bühne. »Wer will dahin?« Andy zeigt auf mich. Zabolotnyi fragt: »Verwandte?« Ich schüttele den Kopf. »Du bist, wie heißt das? Wissenschaftler? Reonor? Geologe?«
    »Nein.«
    »Warum willst du dann dahin?«
    »Ich will zur Einsamkeit. Dieser Insel.«
    »Ostrov Uyedineniya? Bist du müde vom Leben?«
    Jetzt müsste ich eigentlich nicken. Ich will nicht sterben, aber müde bin ich. Warum genau, verrate ich niemandem. Ich kann es nicht mal vor mir selbst in Worte fassen, ohne ins Bodenlose zu fallen.
    Zabolotnyi erklärt in gebrochenem

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