Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Fernseher angeschlossen. Heute ziehe ich die Vorhänge zu und lasse den Scartanschluss unberührt.
»Das ist schon mutig, was die da machen«, sagt der Häuptling einer Gruppe von Gästen, die nur zum Feiern in den Restaurant-Turm gekommen sind. Alle Tische sind für sie reserviert. Ich sitze nebenan an der Bar und trinke Wasser, obwohl alles in mir nach Bier schreit. »Wartet ab«, sagt der Häuptling, »die stürzen auch noch ihre restlichen Diktatoren. Wie Dominosteine.«
Er redet vom arabischen Frühling, von dem ich etwas mitbekommen habe, da ich die Nachrichten schaue. Die erlaube ich mir, weil sie mir keine gute Laune machen, solange ich rechtzeitig vor den Fußballergebnissen abschalte. Ich habe einen Pfropf in der Brust, und seit kurzem versucht er, sich gegen meinen Willen zu lösen.
»Gut so!«, sagt der Funkturm und würde sich am liebsten stahlkreischend hinunterbeugen und mir die Fernbedienung wegnehmen, damit ich den Fußball anlasse und der Propf fällt. In Algerien, Ägypten und Libyen sind Aufstände ausgebrochen. Die Tunesier haben ihr Staatsoberhaupt schon vor sechs Wochen aus dem Land gejagt. Sie bauen Auffanglager für Flüchtlinge. Ausgelöst wurde ihre Revolution durch ein Bild, das ich nicht vergesse. Ein Gemüsehändler verbrennt sich öffentlich, weil der Staat ihm zu viel in sein Leben hineinredet. Unwillkürlich habe ich das Cover der alten CD vor mir gesehen, auf der ein tibetischer Mönch lodert, der die Unterdrückung durch die Chinesen anklagt. Rage Against The Machine, 1994. Der Pfropf ist für eine Sekunde tatsächlich aus meiner Brust gefallen. Ich bin erschrocken und habe ihn wieder hineingestopft.
»Wasser!«, klagt die Chefin, die zwischen der Bar, in der ich der einzige Gast bin, und der geschlossenen Gesellschaft hin- und herzischt. »Warum können Sie nicht wenigstens ein Mal Bier trinken? Oder Wein?« Sie zeigt mir die Flasche. »Von meinem Schwager! Er ist Winzer an der Mosel. Er hat mich helfen lassen, im Urlaub. Es kann sein, dass die Trauben für diese Flasche durch meine Zehen gequetscht wurden.«
Ich muss schmunzeln, weil sie Werbung für ein Getränk macht, in dem sie sagt, sie habe es zwischen ihren Zehen hervorgebracht. Sie arbeitet zwölf Stunden am Tag in denselben Socken. Der Pfropf löst sich leicht.
Nein! Das darf nicht sein!
Ich lasse mein Wasser aufs Zimmer schreiben, verlasse das Motel und trete in die laue Abendluft. Auf dem Parkplatz stehen die Trucks Schnauze an Schnauze. Eine grauschwarze Krähe kraxelt am Zaun herum. Aus den Fenstern der Küche höre ich es brutzeln. Die Limousine aus dem alten Fuhrpark unserer Taxifirma ist das größte Auto auf dem Gelände. Sonst sehe ich nur Kleinwagen. Lediglich ein riesiger Landrover rollt gerade röhrend vom Platz. Er wirkt wie aus einem Wüstenfilm gefallen. Riesige Reifen, Dreck an den Flanken. So ein Modell habe ich hier noch nie gesehen. Nun denn, ab zur Tribüne!
»Geh wieder rauf und trink den Zehenwein«, krächzt der Funkturm über mir. An der Halenseestraße gehe ich nicht den ganzen Bogen um das gusseiserne Motorsportdenkmal herum, sondern nehme die Abkürzung durch das winzige Waldstück. Wenn man die paar Bäume so nennen kann. Jede Nacht schlurfe ich hier hindurch. Ein perfektes Versteck für Räuber und Mörder, aber nichts passiert. Ich gehe zu meiner Geistertribüne, hebe den Bauzaun aus dem Ständer, biege mit dem Müllgreifer den Stacheldraht um, klettere hinein und hocke mich auf die Bank. Die Brust ist wieder eng. Gut so. Der Funkturm schüttelt knarzend den Kopf.
Es ist früher als sonst. Gerade mal Mitternacht. Die Avus ist noch gut befahren. Aus einem Auto, dessen Rückscheibe geöffnet ist, streckt sich der Arm eines kleinen Mädchens. Sein Finger zeigt genau auf mich. Der Wagen gerät ins Schlingern, wahrscheinlich, weil das Mädchen aufgeregt seinen Vater auf dem Fahrersitz angestupst und der sich erschrocken hat. Mein Herz schießt mir in den Hals. Fast hätte der Mann einen Unfall gebaut. Einen Unfall mit Tochter! Wegen mir, dem Geist auf der brüchigen Bank. Ich stehe auf, stolpere aus der Tribüne und biege nicht mal den Draht zurück.
Im Restaurant feiern sie. »Happy birthday to yooooouuu!!!«
Das muss aufhören! Ich renne die Treppe hoch, an der surrenden Sitzecke vorbei, schließe mich in mein Zimmer ein, schalte den Fernseher an und stelle ihn sehr laut. Ich schalte durch, bis ich etwas sehe, das mir keine Freude machen kann. Eine Reportage fällt mir ins Auge. Ich
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