Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
nachschlagen und das weiß auch jeder, aber trotzdem glauben einem die Menschen eher, je präziser man eine Kulisse ausschmückt. Allgemeinplätze sind keine überzeugenden Ortschaften. Ich streiche die Szene mit den kotzenden Engländern. Die ist zu viel. Dann sende ich die Mail ab.
Den Tag verbringe ich zwischen Zimmer und Dusche und warte darauf, dass es dunkel wird. Das weiße Rollo habe ich längst heruntergezogen, ganz so, wie ich es aus dem Motel gewöhnt bin. Ich döse früh ein nach der anstrengenden Nacht im Wald und werde von Frauenstimmen geweckt, als draußen die Abenddämmerung über Polen gekommen ist. Ich stehe auf und linse am Vorhang vorbei. Jennifer Rush und die Schwarzhaarige diskutieren mit der Wirtin vor der Haustür. Ich mache einen Schritt weg vom Fenster und stehe genau zwischen dem weißen Rollo und der Neonröhre über dem Waschbecken, die auszuschalten ich zu faul gewesen bin. Das Licht wirft meinen Schattenriss auf das weiße Rollo, eine Silhouette mit breitem Kiefer, leicht vorstehenden Augenbrauen und vor allem: zwei auffällig abstehenden Korkenzieherkoteletten. Ich schalte das Licht aus. Hoffentlich hat niemand hochgesehen. Peng! Da wäre er gewesen, der Gesuchte, Schwarz auf Weiß im ersten Stock, deutlich zu sehen wie ein Wolf, den man als Fingerspiel im Licht eines Diaprojektors seine Ohren spitzen lässt. Die Pensionswirtin hat recht. Ich bin zu auffällig. Ich setze mich aufs Bett und lausche. Warte, bis die Frauen weg sind. Frage mich, wann die Männer kommen. Marek und seine Jungs. Ob sie kommen oder ob sie sogar zu faul sind, sich für die Schläge zu rächen. Dann, es mag Mitternacht sein, schalte ich das Licht wieder ein, krame den Rasierer aus meinem Rucksack, atme tief durch und beginne, mir im Schein der Neonleuchte die Koteletten zu entfernen. Schwarz fallen sie auf dem Schattenspiel des Vorhangs hinab wie Pinienzweige. Ich bin in Frankreich. Ich bin in Schlesien. Ich bin inkognito.
> Hartmut
< Susanne
Himmel un Ääd met Flönz
17. 03. 2011
50° 58′ 52.97″ N, 6° 56′ 53.14″ E
»Du brauchst einen neuen!«
»Aber Susanne, Kind, dieser Keg-Anschluss ist gerade mal vier Jahre jung. In der ganzen Zeit hat er nicht einmal versagt. Der hat nur ein bisschen geklemmt.«
»Jetzt schon.«
»Ich habe vollstes Vertrauen zu dir. Ich weiß, du bist eine begnadete Handwerkerin und du kriegst alles wieder hin. Ich bin so stolz auf dich und ganz sicher, dass du auch diesen Keg-Anschluss wieder reparieren kannst. Anschließend könntest du auch mal nach der Kühlung …«
»Mama! Dieser. Keg. Anschluss. Ist. Kaputt.«
»Nun werd mal nicht pampig. Das kann doch gar nicht sein. Du bekommst …«
»Ich kann ihn nicht reparieren. Sieh her: Hier und hier sind Risse im Metall. Das kann man nicht schweißen oder sonst irgendwie flicken. Zum einen ist das Gusseisen, und zum anderen, wenn ich eine Reparatur versuchen würde, würde dir vielleicht eines Tages ein Fass um die Ohren fliegen. Womöglich, wenn du gerade danebenstehst, weil du es anschließen willst. Mama, so ein Keg-Anschluss kostet doch gerade mal vierzig Euro. Das muss doch drin sein.«
»Entschuldige, ich weiß, du meinst es nur gut. Du hast ja völlig recht. Guckst du dann noch bitte nach der Kühlung? Die brummt hier unten so komisch. Und nimm doch bitte gleich noch einen Kasten Cola mit, wenn du wieder hochgehst. Die Cola kommt rechts vorne in den Tresenkühlschrank. Da kannst du auch direkt mal schauen, ob die Temperatur stimmt. Morgen kommt ja auch der Bierfahrer. Dann frage ich den mal nach einer Reparatur für den Keg-Anschluss.«
Meine Mutter ist schon mit einem Kasten Wasser nach oben gegangen, als sich ohne Grund oder wenigstens Vorwarnung ein Seufzer aus den Tiefen meiner Gebärmutter schält und in meinen Magen kriecht, um sich eine Weile in meiner Lunge zu sammeln, bis er schließlich so gewaltig aus meinem Mund herausbricht, dass sich meine Augen erschrecken und sofort versuchen, in ihrer Feuchtigkeit zu ertrinken.
»Danke, Mäuschen, die Kühlung funktioniert wieder prächtig. Du hast ja sogar den Tresenkühlschrank komplett ausgewaschen, bevor du die Cola einsortiert hast. Das war aber nicht nötig. Das stand erst für morgen auf meinem Erledigungsplan. Vielen Dank, Liebes. Ich mache dann den Laden auf. Kommst du auch gleich? Heute gründen wir die Bürgerinitiative. Ich bin gespannt, wie viele kommen.«
Ich spüre, wie meine Mutter mir einen Kuss auf die Haare gibt. Ich sitze vor dem
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