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Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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Adresse des »Basta!« in Görlitz. Sie kennt den Schriftsteller nicht, der früher hier gelebt hat. Sie denkt, ich bin Schmidt. Draußen klopfen die Frauen an die Türen der Nachbarhäuser. Die Pensionswirtin scheucht mich die Treppe hinauf in ein Zimmer. Bett mit Nachttisch. Kleiner Tisch mit Stuhl. Alte Kommode. Waschbecken mit Spiegel. Unten klopfen die Frauen und rufen. Die Pensionswirtin zwinkert mir zu, als seien wir nun ein Team. Sie schließt die Tür. Ich drehe den Schlüssel nach rechts. Unten im Hausflur begrüßt sie freundlich die Frauen, hält ein Schwätzchen mit ihnen und macht ihnen klar, dass sie heute noch keinen Mann hier gesehen hat. Ich hocke in der Deckung hinter Fensterbank und Gardine und sehe, wie die Stalkerin mit ihren Komplizinnen geht und weitersucht nach dem einzigen Mann, der nicht trinkt und der diese komischen, putzigen Koteletten am Schädel kleben hat. Jennifer Rush dreht sich um und sieht zum Fenster hoch. Ich stürze rückwärts zum Bett und erstarre, hoffend, dass sie mich nicht gesehen hat. Ich warte zehn Minuten. Die Frauen kehren nicht wieder. Die Pensionswirtin klopft und bringt mir heißen Tee. Ich nippe an der Tasse, und sie zeigt mir die Dusche auf dem Flur, von dem drei weitere Türen abgehen. Die sind mir beim Hochhasten nicht aufgefallen. Vielleicht war das Haus bis eben gar keine Pension. Vielleicht habe erst ich es in eine verwandelt.
    »Schmidt wollen essen?«, fragt die Pensionswirtin. »Mittag?«
    »Ja, Mittag«, sage ich.
    Sie nickt und geht die Treppe hinab – wohlige, dumpf pluckernde Holzstufenschritte –, und ich verschwinde wieder in dem Zimmer, das ich erschaffen habe.

    Die Pensionswirtin macht Grünkohl mit Mettwurst, und ich lehne nicht ab, obwohl es das erste Mal seit Jahren ist, dass ich Fleisch zu mir nehme. Ich wüsste nicht, wie ich einer alten Schlesierin das Konzept des Vegetarismus beibringen soll, und als ich den ersten Bissen der heißen, fettigen, würzigen Wurst auf der Zunge spüre, frage ich mich sowieso, ob die Zeit der Prinzipien nicht vorbei ist. Oder besser: Ob meine Prinzipien nicht durch neue ersetzt werden müssen. Pragmatik statt Pamphlete. Ich will zu Fuß nach Sibirien, da wachsen keine Tofusprossen am Straßenrand. Ich werde Möwen verspeisen und Eisvögel ausnehmen. In Bochum oder Berlin, da ist es richtig, kein Tier zu essen, da werfen sie einem die Falafel und Veggieburger hinterher. In der Zivilisation ist jede Wurst ein Bonuslevel. Aber hier, auf der Reise ins Nichts, da geht es ums Überleben. Da ist der Verzicht auf tierisches Fett und Proteine wahrscheinlich so, als würde man Super Mario seine Sprungfähigkeit wegnehmen.
    Die Pensionswirtin spricht nicht, während wir speisen. Gerade hat sie gebetet. Ich habe aus Höflichkeit die Hände gefaltet, den Kopf gesenkt, die Lippen bewegt und still für mich die ersten zehn Alben von Miles Davis aufgesagt. Die Kelle singt klimpernd, wenn ich mit ihr, neue Kraft schöpfend, an den Topfrand stoße. Die Pensionswirtin pustet auf ihren Löffel und beobachtet mich über dem tropfenden Besteck. Ich bin der einzige Gast. Falls es eine Pension ist. Vielleicht macht die alte Frau gerade auch einfach nur das Geschäft ihres Lebens. Zweihundert Euro für ein Bett und zwei große Teller Grünkohl.
    »Baczki?« Die Pensionswirtin hebt die Hand und tippt die Spitze meiner Kotelette an, wie jede Polin es tut. Sie zeigt aus dem Fenster. Wieder auf den Bart. Sie formt meine Silhouette mit den Händen in der Luft nach.
    »Sie meinen, ich sehe zu auffällig aus?«, frage ich.
    Sie wackelt mit dem Kopf. Ich schnaufe. Esse ein Stück Wurst. Zuletzt habe ich Mettwurst bei meiner Großmutter gegessen, als Kind. Das erste Mal, dass ich fragte, ob eigentlich jedes Jahr von allein genug Kühe sterben, damit es täglich Fleisch geben kann, war bei meiner Mutter. Sie wurde bleich und versuchte eine halbe Stunde lang, nicht von Tötung oder gar Mord zu sprechen. In der Küche meiner Großmutter hätte ich so was nie gefragt. In der Küche einer Großmutter gebiert alles seine fraglose Richtigkeit wortlos aus sich selbst heraus.
    Kaum ist der letzte Bissen in meinem Magen, brummt mein Handy. Es war tagelang ruhig. Jetzt macht es »Bröööd bröööd«, was sagen will, dass eine Kurznachricht eingetroffen ist. Mein Provider teilt mir mit, dass ich Post von meinem besten Freund im Mailfach habe. Ich kann meinen Account mit dem Telefon einsehen. Ich habe es mir während der Taxizeit im Angebot zugelegt,

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