Erdwind
entschlossen, hineinzugehen. Mit oder ohne euch. Also nochmals, Darren – weißt du den Weg?“
Darren schüttelte den Kopf, langsam, offenbar immer noch voller Angst vor dem, was sie vorhatte. „Ein paar Meilen weiter ist ein Hochland; von da aus kannst du die Höhle sehen. Es kann nicht so schwierig sein, hinzukommen. Aber ich finde immer noch, das ist keine gute Idee. Wir sollten lieber nach dem Wolken-Tal gehen … die Legende sagt, dahinter ist ein großer See, der um den ganzen Weltball herumreicht, bis seine Wellen auf der anderen Seite des Waldes gegen das Marschland schlagen.“
„Da können wir ja später hingehen“, beharrte Elspeth. „Jetzt will ich erst zu dieser Höhle …“
Einen flüchtigen Augenblick lang hatte sie es erfaßt – den Erdwind, den Sinn, der hinter diesem komplexen Felsrelief steckte, ein Verstehen dessen, was es gewesen war und immer noch war. Lebhaft erinnerte sie sich an das knisternde Feuer, die geisterhaft schwebenden Lieder von Erde und Wind – sie glaubte, die Männer wieder streiten zu hören, und sie erinnerte sich auch an die Laute ihres eigenen Körpers: Herzklopfen, Magenknurren und ein geisterhaftes Pfeifen, das ihren Kopf erfüllte, aber nicht die Luft … und an den Augenblick des Verstehens – und dann an einen sterbenden Mann und an Darrens Flucht aus dem crog.
Ein Bruchteil dieser Minuten war ihr verlorengegangen, ein Bruchteil nur, aber der Bruchteil. Sie hatte ihre eigene Einsicht vergessen – diese hatte nicht Zeit gehabt, sich den permanenten chemischen Kommunikationsrezeptoren ihres Hirns einzuprägen. Ein Flirren wie von elektrischen Entladungen, und dann – der Mord, die Flucht, die Panik – das lief ab in den zarten Strukturen, mit denen sie intuitiv jenes Symbol erfaßte, das zum zentralen Anliegen ihres Lebens geworden war.
Brutalität und Einsicht, dachte sie bitter, und suchte verzweifelt nach einem Epigramm, einer kurzen, verbitterten Formel, mit der sie ihre Gefühle von der Beziehung zwischen diesen beiden Dingen auf kristallklare und zugleich reinigende Art ausdrücken konnte. Doch zu ihrer zornigen Beschämung fiel ihr nichts ein; nur etwas, das anfing Wie doch im Leben … und sie zuckte unwillkürlich bei dieser abgedroschenen Phrase zusammen, doch es war nicht die Abgedroschenheit, die sie beunruhigte …
Im Leben? Es gab kein Leben mehr, an das sie sich erinnern könnte, keine Ereignisse, die dem Routineablauf Frische und Substanz verliehen. Das Leben war weg, die Vergangenheit, dunkel und inhaltslos, war ein Gespenst – eine Leere – Stimmen, Szenen, Gesichter, Echo und Widerhall, durcheinander, verrückt, sinnlos. Alles war weg, nur ihr Besuch auf dem Aeran, alles was sie dort erlebt hatte, der Erdwind, Gorstein und seine aggressive Sexualität, ein vages Gewebe aus Tatsachen und Szenerie, das Newgrange hieß, ein Erlebnis auf der Erde (Ich erinnere mich an die Erde!), ein Grab – bedeutungsvoll, aber nur noch schwach in ihrem degenerierenden Hirn bewahrt, nur weil es das Symbol enthielt und daher in ihrem verengten Gesichtsfeld geblieben war.
Geräuschvoll kauten Darren und Moir auf den Fladen aus Felswurzel-Schwämmen herum – Darren hatte sonst nichts Eßbares gefunden. (Darren beobachtete Elspeth mit zornigen Augen; Moir schien für nichts anderes als die Stillung ihres Hungers Interesse zu haben); so konnte sich Elspeth mit der Tatsache vertraut machen, daß der Aeran sie erwischt hatte, daß er alles eliminiert hatte, was ihr teuer war, und daß er nur darauf wartete, in ihre Neuronen hineinzukriechen, alles auszureißen, was er in den vergangenen paar Wochen allenfalls übersehen hatte.
Wie ruhig sie dabei war. Wie allein, wie tot – und doch wie völlig ruhig. Ihr Leben war fast nicht mehr da, und doch ging das Leben weiter, als seien mit dem Leben, das sie verlor, auch alle Gründe zum Angsthaben aus ihrem Organismus ausgeflossen.
Indem sie absichtlich nicht an ihre Kindheit und Jungmädchenzeit dachte, erkannte sie, daß die Jahre ihres Lebens mit verwischten Bildern von Nirgendwos und Niemands vollgestopft waren, und das veranlaßte sie zu der falschen Annahme, daß eigentlich alles in Ordnung sei. Bei jedem Versuch, Details zu sehen, stieß sie ins Leere. Ihre ganze Vergangenheit bestand aus dem gleichen unbestimmten Gewebe, das ihr gegenwärtiges Gesichtsfeld abgrenzte: Farben und Schattierungen, Bewegungen und Formen, die sie auf keine Weise definieren oder identifizieren konnte, die jedoch ein Gefühl
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