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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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Sekunden …“
    Nicht die Sekunden von sieben Monaten, sondern Sekunden … ein paar Minuten, ein paar Stunden … ein Orakel, das ins Absolute schauen konnte, hatte seinen absoluten Tod innerhalb von Minuten nach der Voraussage vorausgesagt.
    Und alles nur, weil er gezweifelt hatte.
    Er hatte nur ein paar Sekunden lang am ching gezweifelt, es war wirklich nur ein vorübergehendes Gedankenflimmern gewesen. Aber er hatte gezweifelt. Im Zweifel lag Veränderung; Fragen bedeutete, Alternativen zu setzen; Alternativen konnte man folgen oder gegen sie ankämpfen; er hatte gewußt, daß sein Tod fällig war, und hatte es akzeptiert. Doch dieser Augenblick des Zweifelns hatte seine Beziehung zum ching verändert, sein eigenes Leben hatte sich gegabelt … er hatte einen Weg eingeschlagen, den das ching von vornherein abgelehnt hatte; ein alternatives Leben, in dem er unmittelbar vom Tode bedroht war, wenn er Gorstein nicht gehorchte.
    Hätte er einen Schrei zustande gebracht, so hätte er geschrien. Wie die Dinge lagen, blieb er still und stieg wieder in seinen Körper hinunter. Er war deprimiert, doch vielleicht zum erstenmal in seinem Leben erfaßte er, wie wahrhaft subtil das Orakel der Wandlungen war und wie verhängnisvoll dieser Augenblick des Interessenkonflikts vor ein paar kurzen Minuten gewesen war. Er lockerte die angespannte Todeskontrolle und ließ das Leben mit dem dunkelroten Blut, das sein Wille bis jetzt abgedämmt hatte, aus seinem Körper rinnen.

 
Abrechnung

 
13
 
    Sie rannte den steilen Abhang hinauf, packte das dürre Gras und zog sich die scharfe Kante hoch. Was jenseits der Kante war, konnte sie nicht sehen, doch sie wußte, wenn sie es schaffte, über den Hügelkamm zu gelangen, war sie in Sicherheit. Irgendein fremdartiges Wesen war hinter ihr her, verfolgte sie. Sie konnte es hören und hatte Angst. Es atmete eisig. Eine Sekunde lang war ihr, als würde sie ganz starr, und sie versuchte verzweifelt, ihren Leib über die letzten paar Fuß des Grates zu ziehen; doch sie war wie gelähmt, bewegungsunfähig. Das furchtbare Wesen hinter ihr rief ihren Namen, kam heran, um ihr den Rest zu geben. Dann fiel ein Donnerschlag, tief, dröhnend – und sie sah auf. Eine Säule aus eisigem weißem Schnee erhob sich über dem Grat, bereit, sich auf den Hügel zu ergießen und sie zu verschlingen. Sie schrie auf, doch eine Sekunde später schoß die Lawine seitwärts und abwärts hervor, hüllte sie ein, begrub sie, trug sie hinab in ein bitterkaltes Grab. Schnee drang ihr in Nase und Mund, machte sie husten und würgen, riß ihr Arme und Beine auseinander, drang unter die Kleidung, haftete auf der Haut, so daß sie langsam erstarrte.
    Vor ihr tanzte etwas in der Luft. Eine Doppelspirale, zu einer Dreiecksform verbunden. Das Ornament schwebte vor ihren Augen, drehte sich erst links-, dann rechtsherum. Sie griff danach, spürte mächtige, freundliche Wärme, doch das Gebilde entzog sich ihr, blieb außer Reichweite. Sie rannte hinterher, rief es an, doch das fremdartige Ding tänzelte hierhin und dorthin, entglitt ihr immer wieder, wenn sie es berührte. Finsternis drohte hinter ihr, der Schatten irgendeines furchtbaren, abseitigen Wesens, einer grauenerregenden Kreatur, die sie verschlingen wollte; sie floh davor, jagte dem Schatten der Spirale nach, streckte flehend die Arme aus, doch das Gebilde glitt wiederum hinweg, verschwand in der Ferne, und der kalte Atem des scheußlichen Wesens hinter ihr berührte ihren Nacken, nagelte sie fest …
     
    Ein junger Mann starrte hinunter in ihr Gesicht. Hinter ihm stöhnte ein Ungeheuer, das sie nicht sehen konnte, laut und schreckenerregend auf, als wollte es sie verschlingen. Sie schrie, doch der Jüngling faßte zu und drückte sie zu Boden; ein kühler Stoff berührte ihre Stirn, und sie sah ein lächelndes Mädchen. Wieder stöhnte das Unwesen; sein eisiger Atem jagte ihr einen Schauer durch den Leib. Der Junge nannte sie beim Namen …
    „Sie kommt wieder zu sich“, sagte das Mädchen.
    „Elspeth – geht es dir besser?“
    „Darren?“
    Sie fuhr auf aus ihrem Alptraum; Dunkelheit und Eiseskälte entschwanden so schnell wie der Wind. Das Stöhnen war immer noch zu hören, doch es war weit weg. Es war kalt. Sie befanden sich in einer kleinen Felsenhöhle. Eine einzelne Fackel warf ihren unsicheren Schein auf die Kanten und Zacken des Felsens. Ihr Gesicht war heiß. Sie betastete ihre Wangen. Fieber, dachte sie. Und: Wo bin ich?
    „Ich dachte, du

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