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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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so sinnlos zu mißbrauchen, Karl.“
    „Eine letzte Chance, Peter, eine letzte Chance. Bitte tu, was ich will.“
    „Ich kann nicht, Karl. Bitte setz dich hin und bedenke, was …“
    Der ganze Raum bebte. Ein donnernder Schlag. Finsternis. Etwas preßte gegen seinen Rücken, wollte ihn zerquetschen, doch er stand anscheinend noch. Der Druck ließ nach. Der Donner verklang.
    Stille.
    Hatte es eine Explosion gegeben? Hatten die Aerani angegriffen? Wo war Gorstein? War er tot? Bewußtlos?
    Ashka versuchte, im Halbdunkel etwas zu sehen. Langsam hörten seine Sinne auf zu wirbeln, er konnte wieder klar sehen (es war auch gar nicht dunkel in der Kabine), und er wußte wieder, wo er war.
    Was gegen seinen Rücken gedrückt hatte, war die Wand gewesen. Das Donnern war die Detonation des Nadelrevolvers. Er saß an der Wand, die Beine vor sich ausgestreckt. Es roch … nach verbranntem Protein … wie ein gebratenes synthetisches Steak … ein voller, blutiger, mundwässernder Geruch …
    Er wollte aufstehen.
    Nichts.
    Er senkte den Kopf und starrte auf seinen Leib.
    Aus dem Loch in seinem Leibe rauchte es. Eine glitzernde grünblaue Schlange schlängelte sich langsam aus diesem Loch und rollte sich in seinem Schoß auf.
    Das ist der Tod, dachte er. Der Augenblick der Finsternis, das Erlöschen des Geistes.
    Er war ganz ruhig. Blut floß, das Herz schlug. Sein Hirn schloß sich zu, die Jalousie fiel, und sein Denken bereitete sich auf das Ende seiner Existenz vor.
    Ein einzelner Gedanke drängte sich vor: sieben Monate!
    Und sofort zog er sich aus dem Wirbel des Todes heraus, schärfte seinen Blick, belebte den schon gestorbenen Teil seines Bewußtseins. Es war noch nicht so weit, daß er sterben mußte! Sein Tod war erst in sieben Monaten fällig, und daher konnte er jetzt nicht sterben!
    Er fühlte den Schmerz und mußte schreien, doch er verschluckte den Schrei und konzentrierte sich wieder, diesmal auf die verzweifelt schwere Aufgabe, am Leben zu bleiben. Er schloß seine Gedanken von der Umgebung ab (Dunkelheit, Kälte, das Zurücktreten vertrauter Gegenstände); er regelte seinen Herzschlag. Er war langsam, doch nicht langsam genug. Er zwang sein Herz zu schleppenden, aber starken Schlägen. Er tauchte tiefer in sein Denken, betrieb Tief-Konzentration nach der Methode, die er gelernt hatte, brachte seine vegetativen Funktionen unter Kontrolle, soweit es seine schwache Kraft erlaubte. Er ließ die Blutgefäße um die klaffende Wunde sich zusammenziehen; das Blut strömte nicht mehr, sondern tröpfelte und versiegte dann gänzlich. Er aktivierte das Mark in seinen Knochen; Hormone flossen durch seinen Leib, beruhigten hier, regten dort an …
    Er begab sich in seinen Leib und inspizierte den Schaden.
    Eine zerrissene Magenwand, eine zerfetzte Niere, die Lunge beschädigt, die Leber angekratzt, irreparabel zerrissene Nerven am linken Bein und an der linken Seite … und noch viel, viel mehr – aber das war alles nicht so schlimm wie die Organschäden. Er kniff die zerfetzte Niere ab, spannte die Muskeln längs des Magenrisses an; mehr konnte er nicht tun, doch er fühlte, daß es genug war. Der Prozeß des Sterbens war aufgehalten, bestimmt – lange genug, daß jemand ihn finden und ihm erste Hilfe leisten würde, bis er ins Lazarett geschafft werden konnte.
    Jetzt entspannte er sich, immer noch in tiefer Konzentration, aber unbesorgt.
    Er hatte sich das Leben gerettet, und nur durch das ching. Hätte er nicht gewußt, daß die Zeit seines Sterbens noch nicht da war, wenn er sich nur Mühe gab, dagegen anzukämpfen, dann hätte er sein Leben verrinnen lassen; oder wenn er sich gegen Gorstein gewehrt hätte, dann besäße er vielleicht nicht mehr die Fähigkeit oder die Entschlußkraft, die Reserven seines Geistes voll einzusetzen …
    Er wünschte, er könnte Gorstein sagen, was bei seiner Tat herausgekommen war: daß der Mordversuch gerade die absolute Gültigkeit des ching bewiesen hatte …
    Er wünschte, er könnte Gorsteins Gesicht sehen, wenn dieser feststellen mußte, wie sich dieser schmächtige Asiat ans Leben klammerte. Gorstein würde seine Ansicht ändern, nicht wahr? Er würde zugeben müssen, daß er sich geirrt hatte …
    Daß er sich geirrt hatte!
    Daß er unrecht gehabt hatte!
    Daß …
    Ashkas Herz fing an zu rasen, gegen seinen Willen.
    Schwärze verschlang ihn. Er bildete sich ein, Gorstein lachen zu hören; das zerrte an seinem Gehörnerv. Ein machtvoller Wind summte in seinem Kopf. „Nur noch

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