Erdwind
für Mann beobachteten die Aerani stumm, doch mit unverkennbarer Erregung das Zentrum der Feuergrube. Elspeths Blicke wurden von den Hunderten von Nischen angezogen, wo die abgetrennten Häupter der in ehrenhaftem Streit Gefallenen aus leeren, knöchernen Augenhöhlen auf die Stelle hinunterstarrten, wo der Kampf bald beginnen würde. Irgendwo in diesem Ring der höchsten Ehre wurde vielleicht soeben eine neue Nische ausgehoben. Sie konnte zwar nichts Derartiges sehen, doch einer würde bei diesem Duell sein Leben lassen, so daß man sicher schon jetzt mit den Vorbereitungen für das Beisetzungsritual beginnen würde.
Wer würde in ein paar Minuten aus der Erde starren? Sie konnte den Gedanken, daß Darren in so einem Duell sein Leben aufs Spiel setzte, kaum ertragen; und doch stand ihr gespenstisch sein Schädel vor Augen, der sie angrinste, Würmer in den Ohrlöchern, Erde, wo das Hirn gewesen war … die Vision wollte nicht weichen, als wolle eine Wesenheit sie auffordern, sich zu wappnen für die Tragödie, die gleich beginnen würde.
Sekundenlang schloß sie die Augen, kämpfte gegen die plötzliche Angst an, die in ihre Eingeweide kroch und nicht weichen wollte. Dann öffnete sie die Augen wieder und zwang sich, in die Arena hinunterzuschauen. Sie und Moir hielten sich bei den Händen, die Finger fest verschlungen. Das Mädchen weinte nicht mehr. Was mochte Moir für eine Vision haben, fragte sich Elspeth. Im Herzen wünschte sich das Mädchen zweifellos, daß Engus siegte, ihr Liebhaber, selbst um den beängstigend hohen Preis des Todes ihres Bruders. Sah sie also das schreckliche Bild von Engus’ abgeschnittenem Kopf? Hatte ein Etwas sie auf das Schlimmste vorbereitet?
Was immer dieses Etwas sein mochte – und im geheimen wußte sie, daß es bloße Phantasie war, ihr eigener Geist, der sich von ihrer eigenen Angst nährte –, es müßte ja tatsächlich um den Ausgang des Kampfes wissen, denn diese seltsame Welt gebot über die absolute Voraussage …
Wo mochte wohl der Seher sein? Las er in diesem Moment irgendwelche Runen? Befand er sich unter der Erde, im Leib der Mutter, die im geheimen über den Tod eines ihrer Kinder weinte, einen Tod, den sie in Bildern, Zeichen oder Symbolen gesehen hatte?
Ich bin für Darren, dachte sie. Komm ran, Kleiner!
Das Ritual des Todes und der Ehre begann, und Elspeth rutschte auf den Knien weiter vor. Es war jetzt seltsam still in der Luft, nur ein Höhenwind sang; ab und zu knisterte eine Fackel. Das laute Meißeln hatte aufgehört. Die Schatten der beiden jungen Männer, die dort unten standen, Angesicht zu Angesicht, tanzten über den Erdboden, obwohl sie bis jetzt nur geistig kämpften. Ihre Körper bewegten sich nicht. Sie waren natürlich nackt, und Engus wirkte groß und athletisch; Elspeth war das noch nie so aufgefallen. Sein langes Haar hing ihm strähnig über die Schultern, er hatte es aus der Stirn zurückgestrichen, die er sich anscheinend mit dunkler Farbe bemalt hatte. Sein Gesicht war eine Maske des Hasses (und sie waren doch so gute Freunde gewesen!), mit geballten Fäusten starrte er auf seinen Gegner. Darren sah nicht so kräftig aus wie Engus, und doch wirkte er gelassener. Sein Körper war völlig reglos, sogar ohne die Anpassung, die in Engus’ Kampfhaltung so deutlich zum Ausdruck kam. Elspeth wünschte sich, er möge doch nur einmal kurz zu ihr herübersehen, doch seine Augen waren fest auf den Gegner gerichtet, während die tödlichen Waffen herbeigebracht wurden: lange gebogene Knochenschwerter, gelblich glänzend, vorn breiter als am Griff – es war überhaupt kein Griff, da gab es nur ein paar Kerben für die Finger am schmaleren Ende des Knochens. Die Schneiden sahen grausam scharf aus. Von welchem Tier sie stammten, wußte Elspeth nicht. Kein Schwarzflügler, soviel war sicher, diese Knochen stammten von etwas Großem.
Jeder hatte ein Tangelkraut um den linken Arm gewunden; friedlich ruhte es in der Achselhöhle in diesen Minuten vor Kampfesbeginn.
Man brachte jedem einen Steinsplitter, scharf, spitz. Beide lehnten ab und nahmen statt dessen ihre Kristallmesser, die sie an der Schnur um den Hals trugen. Mit diesen machte sich jeder einen Schnitt in den Unterarm, so daß das Blut, allen sichtbar, frei vom Gelenk auf die Schwertschneide lief und von dort in das trockene Moos tropfte. Dann wurde ein runder Stein, abgemeißelt, um die natürliche Rundung noch zu vervollkommnen, herbeigebracht und zwischen die Kämpfer plaziert. Darren
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