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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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seinem Alter wäre ein Amts-Duell Selbstmord. Diese Forderung durch einen viel jüngeren Mann war nur erfolgt, damit der Senat etwas zu lachen hatte; es gab humanere Verfahren, die Amtsnachfolge zu regeln. Doch da die Forderung bestand, mußte sie auch angenommen werden; und er hatte sie nicht angenommen. Die Schande war zu groß gewesen.
    Er hatte den Selbstmord durch Duell abgelehnt und ging nun dem Selbstmord entgegen, um seiner Familie ihren guten Namen, seinem Sohn und seiner Tochter ihren Rang zu erhalten.
    Elspeth war noch zu jung, um es völlig zu verstehen, doch sie wußte, daß sie diese Stadt haßte und diese Welt auch; sie wußte, daß sie hier weg mußte, weg von dieser lächerlichen Ritualbarbarei. Es schmerzte sie, daß Alex darin anderer Meinung war, daß er sie ein gedankenloses Kind nannte, das keine Ahnung habe.
    Am Ende des Tunnels war ihr Vater, ohne sich noch einmal zu seiner Familie umzuwenden, ohne einen letzten Kuß, eine letzte Umarmung, mit einem ganz leichten Schaudern beim Unterdrücken eines Angstrufes, in die Luftschleuse getreten und hatte die Tür hinter sich geschlossen.
    Elspeth war zur Mauer gestürzt und hatte mit den Fäusten an die harte Fläche gehämmert, hatte geschrien, der Vater solle doch, nur für einen Moment, noch einmal zurückkommen. Alex hatte sie weggerissen, sie angeschrien, sie solle den Mund halten und sich ansehen, welch großen Mut ein großer Mann hatte, der nicht entehrt, der ohne Schande war, ganz gleich, was der Stadt-Senat gesagt hatte.
    Ihre Mutter brach zusammen; Alex legte sie sanft und bequem auf den Boden.
    Ihr Vater hatte den Mantel abgeworfen, nackt, mit gebeugtem Kopf trat er in Eis und Wind. Elspeth erinnerte sich, wie sie dem schmalen, dunkelhäutigen Manne nachgesehen hatte, den der Wind an die Luftschleusentür zurückwarf; seine Kontur schimmerte unscharf durch die dicken, transparenten Tunnelwände, doch sie sah, wie er wieder in den Wind hineinging, sich gegen ihn lehnte, reglos dastand, wie die Eisnadeln seine Haut zerfetzten, sein Fleisch. Rotes sprühte gegen die äußere Tunnelwand, die Weiße des Schnees wurde verdunkelt von Blut. Ein paar Sekunden stand der alte Mann auf dem bösartigen Polareis, dann hob er die Hände vor das Gesicht und brach zusammen. Wie ein Bündel blutiger Lumpen wurde sein Körper gegen die Luftschleusentür geworfen; dann war das bißchen menschliches Leben fort, weggeblasen in den Schneenebel, in die Eiswelt jenseits der Stadt – verweht, vergessen.
     
    Eisig und schwer hing der Frühnebel über der Erdburg. Die Luft stank. Der bittere Geschmack in ihrem Munde erinnerte sie auf unangenehme Weise daran, wo sie war. Sie schluckte und sah, daß Moir nicht mehr da war.
    Jetzt war kein Mensch mehr zu sehen; doch da kam Darren von der Feuer-Halle her auf sie zu. Er ging zögernd, unsicher, schaute sie an, als er über das Gras schritt, über die noch sichtbare Blutlache. Elspeth sah ihn nicht an; sie fragte sich, wo Moir sein mochte, was mit ihr geschehen würde, was sie jetzt tun müßte, nachdem ihr ‚fester Mann’ ihr genommen war.
    „Kannst du mir verzeihen, Steinfrau?“ Er war vor ihr auf die Knie gefallen und suchte nun ernsten Auges ihren Blick.
    „Was? Daß du Engus getötet hast?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nicht meine Vergebung brauchst du, Darren.“
    „Daß ich dich geschlagen habe“, sagte er, „es war ganz in der Ordnung, und doch …“
    „Und doch fühlst du dich schuldig“, beendete Elspeth seinen Satz. Alle ihre fraulichen Instinkte rieten ihr, die Demütigung des Jungen anzunehmen, doch etwas in ihr, dem der Gedanke, von einem Wilden beschlafen worden zu sein, immer noch widerlich war, ließ sie kühl, fast säuerlich reagieren.
    „Ich habe dir etwas mitgebracht“, sagte Darren lächelnd. Er war nicht mehr der brutale Krieger, der er vor Minuten noch gewesen war. Kindlich blitzten seine Augen, und er hielt Elspeth die Linke entgegen. Sie blickte auf seine geschlossene Faust (es war erst einige Stunden her, da hatte diese geballte Faust sie rücklings in den eisigen Fluß geschmettert).
    „Was hast du da?“
    Darren öffnete die Faust. In der Handfläche lag eine kleine, zerquetschte Pflanze, und als sie ratlos darauf blickte, zerrieb er die Pflanze mit dem Daumen, hob Elspeth die Hand entgegen; sie schrak etwas zurück und sah den Jungen verwirrt an.
    „Riech mal“, forderte Darren sie auf. Sie nahm sein Handgelenk, hob seine offene Handfläche näher an ihr Gesicht und roch

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