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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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Beinen, locker am Körper, eine Uniform, die bei Hitze kühlte und bei Kälte wärmte. Die engen Hosenbeine irritierten sie, und sie schlitzte sie bis zum Knie auf, ohne daran zu denken, daß sie damit die eingewebte Thermostatik beschädigte.
    Immer intensiver dachte sie an den crog und daran, was hinter den Erdbastionen vor sich gehen mochte, wer getötet und wer verbannt worden war. Welche Entscheidungen würden in Hinsicht auf die Jenseitler getroffen werden – und welche in Beziehung auf sie selbst?
    Sie wollte schon durch den Wald laufen, um selbst zu sehen, was sie sehen konnte, da merkte sie, daß einige Meilen entfernt Schwarzflügler zum grauen Himmel aufstiegen. Ihr flatterndes Kreisen, winzigen Vögeln gleich, war interessant zu beobachten, obwohl sich die Entfernung nicht recht schätzen ließ. Doch Elspeth hatte schon etwas Erfahrung in der Jagd, sie wußte, daß es in dieser Himmelsrichtung nur einen Schwarzflüglerschlafplatz gab, und zwar an der Grenze des Marschlandes.
     
    In der Annahme, daß Darren und seine Freunde (soweit sie noch am Leben waren) an diesem plötzlichen Aufruhr am Himmel schuld seien, änderte sie ihr Vorhaben und lief auf das moosige Land zu, das zu dem trockenen Hochpfad hinunterführte.
    Als sie die schroffen Klippen und die verstreuten Gruppen schlafender Schwarzflügler sehen konnte, war sie außer Atem und hockte sich hin, um etwas zur Ruhe zu kommen. Nahe bei dem Stein, in den sie ihr erstes Symbol eingeritzt hatte, konnte sie einen Aerani kauern sehen. Vielleicht war es Moir, doch auf diese Entfernung war es schwer auszumachen. Als ihr Herz ruhiger schlug und sie wieder normal atmete, erkannte Elspeth, wie das Moorland wirklich war. Der zarte Pflanzengeruch, das geheimnisvolle Murmeln des Windes in der spärlichen Vegetation, ein fernes Klatschen, vielleicht der Anschlag von Tangelkraut gegen einen Stein, oder das Schnappen der ledrigen Flughäute eines Schwarzflüglers, der gegen den Wind aufstieg, um sich den Nachstellungen der Menschen zu entziehen. Und dann noch ein Laut, der Elspeth erschreckte: das krachende, unregelmäßige Rumpeln eines Robotfahrzeuges, das aus dem offenen Land heraus zum Fluß fuhr. Sie sah die Lichter an seiner Karosserie funkeln, sah ein Stück des Pfades, den es auf seiner Fahrt zurück zum Wald durch das dichte Unterholz pflügte. Wer spionierte da, fragte sie sich. Wessen Augen waren an die gläsernen Späher dieses mechanischen Parasiten angeschlossen?
    Und Singen. Diesen Klang identifizierte sie noch, bevor sie auf die dort hinten kauernde Gestalt zulief und alle Naturgeräusche mit ihren Schritten ertränkte. Gesang. Eine hohe Mädchenstimme, das jammernde Tremolo eines Stein-Liedes, unzusammenhängend, unsicher.
    Das war Moirs Stimme, ganz gewiß. Das Lied klang selbst für Elspeths ungeübte Ohren so kunstlos, daß sie ein paar schreckliche Minuten lang fürchtete, Moir sänge ihr Sterbelied, und bei diesem angstvollen Gedanken fing sie an zu rennen.
    Aber Moir lag nicht im Sterben, nicht im eigentlichen Sinne des Wortes. Elspeth hielt ein paar Schritte vor ihr an und ging dann langsam um das kleine Mädchen herum, bis sie das junge Gesicht, die nassen Wangen, den schwach zuckenden Mund sehen konnte. Moir hatte die Arme geschlossen, die Arme um die Knie geschlungen. Sie schwankte vor und zurück, manchmal fast unmerklich; dann, wenn sie lauter sang, an den Höhepunkten, wurde die Bewegung übermäßig stark. Der Wind spielte in der dichten Behaarung ihrer Beine, blies ihr die Haare waagerecht nach hinten weg. Pflanzenteile und Schmutz hafteten in den gelben Strähnen, ihre Haut war mit Schmutz verschmiert, Blut verklebte den Schmutz auf Gesicht und Armen. Sie war schlimm verprügelt worden.
    Das Lied klang furchtbar. Es lief in jammernden Sequenzen, von denen Elspeth manche wiederzuerkennen glaubte, aber Moir sang sie so schlecht, daß es unmöglich war zu sagen, ob Moir hier einen neuen Gesang erfunden hatte oder nur das alte Stück so sang, wie es ihren derzeitigen Gefühlen entsprach.
    Die aufsteigenden Halbtöne, die den Steingeistern von des Sängers Traurigkeit berichten. Der dreifache Triller, ganz hinten in der Kehle, der mit dem Schicksal haderte. Die wiederholte Note mit dem zweitönigen Triller vor und nach der Sequenz, die dem Felsen, neben dem sie saß, die Trauer der Familie verkündete: Der Fels sog die Melodie ein und leitete die Trauer an die Erde weiter. Die Erde sang mit Moir, Licht und Wolken tanzten rhythmisch,

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