Erdwind
nachlaufen, weil du hoffst, er wird dir verzeihen – ja?“
„Was kann ich denn sonst tun? Ich verhungere doch hier draußen.“
„Und alles, weil du nicht mit mir kämpfen willst. Findest du, daß ich schuld bin, Moir? Bist du deswegen weggerannt?“
Das Mädchen schwieg.
„Warum hast du dich freiwillig entehrt, Moir? Hattest du Angst vor meinen geheimen Kräften? Oder hattest du Angst, du würdest mir den Kopf abhauen, weil ich noch niemals ein Schwert geschwungen habe?“
Moir befreite sich aus Elspeths Armen und starrte gegen den Wind, wo Schwarzflügler aller Größen in Spiralen zu den Klippen hinunterkreisten. Die lauten Lebensgeräusche in den Marschen waren erstorben; dichter Nebel stieg aus den großen, glitzernden Teichen im Norden hoch und rollte mit Wind auf die beiden Menschen zu. Bald würde man nicht mehr viel sehen können. Eine Stunde vielleicht, vielleicht auch weniger.
Moir fuhr durch ihr Bauchhaar, teilte es und wandte sich zu Elspeth um. „Es tut manchmal noch sehr weh“, sagte sie, und Elspeth sah die breite, häßliche Narbe, die quer über den Nabel des Mädchens lief. Es war eine alte Narbe, gut verheilt, doch die Wunde war tief gewesen und mußte dem Mädchen schreckliche Schmerzen verursacht haben, als sie geschlagen wurde.
Elspeth suchte in Moirs ernstem Gesicht nach einer Erklärung. „Als ich knapp halb so alt war wie jetzt, noch fast ein Baby, hatte meine Mutter ein Duell mit der ‚festen Frau’ des Mannes, der meinen Vater getötet hatte. Ich war bei diesem Kampf auf dem Rücken meiner Mutter festgebunden. Sie war eine große Jägerin, sehr geübt in den Waffen, auch im Duell sehr erfahren; aber diesmal verlor sie. Die andere rannte ihr das Schwert durch den Leib, und die Klinge verletzte auch mich. Meine Mutter starb, ich blieb am Leben. Der Kampfgeist meiner Mutter ging auf mich über, als unser Blut sich bei ihrem Tode mischte, und Iondai sagte, ich würde eine große Kriegerin werden. Das Orakel bestätigte seine Voraussage. Ich war der Stolz meiner Familie. Ich hätte eine große Kriegerin werden müssen.“
„Aber warum hast du dann nicht gekämpft?“
„Weil ich wußte, ich würde gewinnen! Ich bin noch keine richtige Kriegerin, aber sobald ich dich getötet hätte, wäre ich ohne weiteres anerkannt worden. Kein kompliziertes Ritual, keine großen Prüfungen. Dein Tod wäre die Erfüllung der Voraussage gewesen. Wenn ich gefallen wäre … Elspeth, du hättest mich nicht töten können! Das Orakel irrt sich nie! Und ich wollte dich nicht töten, wirklich nicht.“ Die Augen wurden ihr wieder naß.
„Nicht weinen, Moir!“ Elspeth hockte sich bei der Kleinen nieder, so daß sie aufschauen mußte, um ihr in die Augen zu sehen. „Wenn das Orakel einmal gesagt hat, daß es dir bestimmt ist, eine große Frau zu werden, dann gilt das auch jetzt noch. Das Orakel irrt sich nie, wie du selbst gesagt hast.“
„Niemals“, erwiderte das Mädchen ruhiger. „Aber vielleicht hat Iondai den Spruch falsch verstanden. Vielleicht lag es auch an seiner Frage … Darren hat immer gesagt, den Starken müßte es gleich sein, was die Zukunft bringt; sie müßten leben und kämpfen ohne alle Furcht.“
„Das ist eine ziemlich häufige Ansicht“, entgegnete Elspeth lächelnd; „aber, Moir, jetzt solltest du das Orakel als etwas betrachten, das dir Kraft gibt. Es hat dir gesagt, daß du Ruhm ernten und schließlich in den crog zurückkehren wirst. Darüber solltest du froh sein.“
„Wie kann ich denn eine Kriegerin sein, wenn ich nicht töten konnte …“ – sie sah Elspeth liebevoll an – „… weil ich meinen Gegner so gern habe?“
Leicht verwirrt erwiderte Elspeth: „Du wirst eben eine andere Art Kämpferin sein, das ist alles. Du hast mehr Mitgefühl als dein Bruder und die anderen. Wahrscheinlich wird es eines Tages so kommen, daß der crog sich nach dir richtet.“
Moir lächelte und blickte dann zum Tal zurück. Sie wurde wieder ernst. „Aber Darren haßt mich noch, und ich ihn auch. Ich brauche ihn, aber ich hasse ihn. Er hat Engus getötet.“ Sie ballte die Fäuste und schien einem Zornesausbruch nahe, doch der Zorn ebbte ab, und sie beugte den Kopf. Sie starrte auf den kleinen schwarzen Beutel in ihrer Hand. „Er hat Engus getötet“, wiederholte sie leise, und dann schwieg sie.
„Ich weiß“, tröstete Elspeth, „ich weiß, wie das ist.“
Moir warf ihr einen scharfen Blick zu. „Hast du einen Bruder?“
Elspeth setzte zur Antwort an. Eine
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