Erdwind
dann nicht erfüllte, hieß es einfach nur: Das Opfer hat Gott nicht gefallen. Mit der Laune der allmächtigen Gottheit konnte man alles rationalisieren, was im Leben geschah. Heute haben wir das ching. Es sagt: Das und das könnte schlecht ausgehen, und wenn es tatsächlich schlecht ausgeht, dann hat man es eben nicht geschafft, sich in Einklang mit dem Strom des tao zu bringen. Wenn es dagegen gut ausgeht, dann hat man den Einklang eben erreicht.“ Er lachte. „Blöd, nicht wahr?“
„Wirklich rührend“, erwiderte Elspeth kalt. „Dieses Argument ist das erste, womit ein Kind in seinem Erziehungsprogramm konfrontiert wird. Sie sind offenbar ein bißchen zurückgeblieben in Ihrer Erziehung.“
„Besser spät als niemals“, erwiderte er liebenswürdig. „Warum denken eigentlich so wenige Menschen so wie ich?“
„Weil sie wissen, daß das tao existiert und daß das ching wirklich funktioniert.“
„Das habe ich auch nie bestritten. Ich sagte, es sei ein Werkzeug des Aberglaubens; und Aberglaube ist eine Geisteshaltung, nicht die funktionelle Fähigkeit oder Unfähigkeit des Werkzeugs. Natürlich funktioniert das ching. Es funktioniert, wenn man an sein Funktionieren glaubt. Wenn man sich keine Sorgen darüber macht, ob es funktioniert oder nicht, dann braucht man es nicht. Je mehr ich darüber nachdenke, um so mehr sehe ich es als eine Krücke für ängstliche Menschen. Ich muß endlich mal einen philosophischen Zusammenstoß mit dem lieben alten Ashka haben. Ich könnte ihn vielleicht sogar einmal schlagen.“
„Bezweifle ich.“
Gorstein grinste höhnisch. „Und warum, bitte?“
„Weil er sieht, was jeder außer Ihnen sieht – daß Sie selber Angst haben, daß Ihre freche, vulgäre und fast heitere egoistische Oberfläche den kauernden, zitternden Schatten eines von Furcht erfüllten Mannes verdeckt.“
Mit wachsendem Ärger sah der Schiffs-Meister Elspeth an. Nach und nach schwand alle Liebenswürdigkeit aus seiner Miene. „So, meinen Sie?“ entgegnete er beherrscht. „Dann sagen Sie mir doch, Mueller, wovor hat dieser kauernde Schatten eines Mannes, den Sie so fachmännisch entdeckt haben – wovor hat er eigentlich Angst?“
„Vor der Strafe für Mißerfolge vielleicht?“
„Da haben Sie verdammt recht“, stieß Gorstein hervor und lachte dann. „Stimmt genau, ich habe Angst vor der Strafe für Mißerfolg. Wer hätte das nicht? Aber ich versuche gar nicht, das zu verbergen. Unter dieser ständigen Angst stehen wir alle. Sie macht mich unsicher, nervös, sie erleichtert die Entscheidungen und verhärtet das Gewissen. Ist das alles, wovor ich Angst habe? Dann könnte ich froh sein, glaube ich.“
„Und ich glaube, ich habe mich geirrt. Ich glaube, ganz tief drinnen haben Sie doch keine Angst vor Mißerfolg.“
„Oh, vielen Dank, Mueller. Ja, dann …“
„Sie haben vor etwas viel Fundamentalerem Angst“, fuhr sie fort, und Gorstein stöhnte leise. „Sie sind durcheinander, Schiffs-Meister, Sie wissen in Wirklichkeit nicht, ob Sie glauben sollen oder nicht, Sie wissen nicht, ob man in die Zukunft sehen kann oder nicht. Sie wissen nicht, ob Sie herausbekommen sollen, was das Schicksal für Sie auf Lager hat oder ob Sie es darauf ankommen lassen sollen. Das ist es, nicht wahr? Sie wollen nicht an das ching glauben, Sie wollen an sich selbst glauben, an Ihren Instinkt; aber im Grunde haben Sie weder das eine noch das andere, denn bezüglich des ching sind Sie unsicher geworden, und so sind Sie abgetrieben … Sie sind, was Peter Ashka Treibgut nennt. Die einzigen Sicherheiten, die Sie haben, sind Ihre Aggression und die Vergangenheit. Aber die Zukunft … Sie haben eine so tiefsitzende Angst vor dem, was kommt, daß Sie sich in eine winzige Kapsel zurückziehen, die auf der Welle des gegenwärtigen Moments hüpft wie ein Korken. Sie schließen sich vor der Zukunft ab, versuchen, Ihre eigene Unsicherheit zu rationalisieren, indem Sie das ching und das Aerani-Orakel als abergläubischen Unsinn abtun. Sie sind ein Mann, der kein Ziel hat, Schiffs-Meister, und irgendwo tief innen sind Sie ganz zusammengekrümmt vor Angst.“
„Raus hier!“
„Ich geh’ schon, keine Sorge. Sie ist schwer zu ertragen, nicht wahr, Schiffs-Meister? Die Wahrheit, meine ich …“
„Raus!“
„… aber, sehen Sie, wir, die wir glauben, wir abergläubischen Spinner, die ihre eigene Verbindung zum ching haben, wir müssen uns nicht mit diesen plötzlichen, furchtbaren Wahrheiten herumschlagen. Wir
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