Erdwind
ich. Elspeth, an der Hinterwand ist ein Gang.“
Sie kroch in die Richtung von Moirs Stimme. Ja, gewiß, das war nicht nur eine flache Nische in der Wand, das war der A n fang eines Tunnels, der im Winkel vom Hauptgang abzweigte.
Wer immer sie gerettet haben mochte, hatte sich bestimmt durch diesen Gang entfernt; er mußte hier Bescheid wissen. Es kam Elspeth gar nicht in den Sinn, daran zu zweifeln. Instin k tiv wußte sie, daß sie diesen Weg nehmen mußten.
Darrens Wunden waren zahlreich, aber nicht tief, und obwohl er beinahe am ganzen Oberkörper zerschunden war, wollte er sich seine offensichtlich großen Schmerzen nicht anmerken lassen, als sei es ein Zeichen von Schwäche, z u zugeben, daß man Schmerzen hatte. Nach ein bis zwei Stu n den, in denen sie ihre spärlichen Nahrungsmittel aufaßen und sich in dem tröpfelnden Rinnsal des Orakeltunnels w u schen und erfrischten, krochen sie den sargäh n lichen Gang entlang, der sie von der Gefahr wegführte.
Elspeth hatte das Zeitgefühl verloren. Sie krochen und krochen, stundenlang, wie es ihr vorkam. Endlich gelangten sie unter Schreien der Freude und Erleichterung ans Tage s licht, doch da sah sie ein, daß sie gar nicht so sehr lange in dem engen Felse n tunnel gewesen sein konnten.
Sie waren am Fuße einer steilen Klippe herausgeko m men, e i ner moosigen Felswand, die etwa fünfzig Fuß hoch über ihre Köpfe anstieg. Sie befanden sich auf einem Hang, der, uneben und voller Gestrüpp, hinab in einen dichten B e wuchs verlief, welcher einen großen Teil des Gesichtsfeldes füllte. Doch in der Ferne wurde es lichter, und dort erhob sich der crog wie ein braungr ü nes Kastell und beherrschte durch seine klaren Linien das sonst ungeordnete Land. Das Schiff war nicht mehr da, was Elspeth ruhig und heiter stimmte.
Darrens Wunden sahen viel schlimmer aus als sie waren; er war über und über blutverschmiert und -verkrustet, so daß Elspeth jedesmal zusammenfuhr, wenn sie ihn ansah. Jetzt untersuchten sie seine Verletzungen gründlicher und ve r banden einen beso n ders tiefen Riß am linken Arm mit einem Stre i fen Stoff, den sie von Elspeths Hose schnitten. Sie selbst war scheußlich verdreckt, und ihr thermostatischer Overall, vom Messer und von den Ste i nen gleichermaßen zerfetzt, war nicht viel mehr als funktionslose Lumpen. Sie versuchten, die losen Stücke zusammenzuheften, damit sie etwas Schutz hätte, doch die Wärme war weg – nur eine g e wisse Intimbedeckung gewährte er allenfalls –, es war e i gentlich sinnlos, diesen Fetzen am Leibe zu behalten.
„Vorwärts, weiter“, rief sie schließlich und wartete, daß Da r ren die Spitze nähme. Er sah kurz an der steilen Klippe hoch, doch Elspeth schüttelte den Kopf. „Das geht nicht, Darren. Wir ne h men den langen Weg.“
Verächtlich zuckte er die Achseln, doch Elspeth wußte, daß er in seinem gegenwärtigen Zustand gar nicht klettern konnte. Sie ging hinter ihm her, am Fuß der Klippe entlang und den steilen Hang empor, der sie, langsam zwar und u n ter Schmerzen, zum Hoc h land hinführte. Moir stolperte als letzte hinte r her, stöhnend und klagend, doch sie hielt sich gut. Stets blieb sie hinten, ohne sich an der Diskussion über Weg und Ziel zu beteiligen. Immer starrte sie ihren Bruder an, als sähe sie ihn auf ganz besondere Weise. Sie sprach ihn nie an, und er sprach auch nie mit ihr. Sie sprachen vonei n ander, doch die direkte Anrede war ein Luxus, den sie sich beide versagten. Das hing wohl noch mit dem Zwe i kampf zusammen. Manchmal machte diese Feindseligkeit Elspeth traurig, dann ärgerte sie sich auch darüber, weil sie sie so albern fand. Doch solange sie dabei war, waren die beiden Aer a ni zu einer gewissen Gemeinsamkeit in praktischen Dingen bereit. Über den crog wurde ni e mals gesprochen, auch nicht über den Tod ihres Vaters oder ihre Ausstoßung. Sie schienen nicht sonderlich traurig zu sein, doch spürte Elspeth, daß die Erinn e rung an das lustige Leben, das sie bis vor kurzem geführt hatten, dicht unter der Oberfl ä che lag. Vielleicht waren sie zur Zeit nur stumpf und betäubt, und dieses taube Gefühl würde vergehen.
Sie ließen die Klippe hinter sich und marschierten Meile um Meile immer noch über ansteigendes Gelände; doch bald k a men die Hänge der ersten wirklich hohen Berge in Sicht. Diese erh o ben sich ein paar Meilen weiter. Ihre unteren Hänge waren ein Durcheinander von Farben, hauptsächlich Grüntöne, die oberen schimmerten silbrig. Dort
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