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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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wieder streiten zu hören, und sie erinnerte sich auch an die Laute ihres eigenen Kö r pers: Herzklopfen, Magenknurren und ein geisterhaftes Pfe i fen, das ihren Kopf erfüllte, aber nicht die Luft … und an den Augenblick des Verstehens – und dann an einen ste r benden Mann und an Darrens Flucht aus dem crog.
    Ein Bruchteil dieser Minuten war ihr verlorengegangen, ein Bruchteil nur, aber der Bruchteil. Sie hatte ihre eigene Einsicht vergessen – diese hatte nicht Zeit gehabt, sich den permane n ten chemischen Kommunikationsrezeptoren ihres Hirns einzuprägen. Ein Flirren wie von elektrischen Entl a dungen, und dann – der Mord, die Flucht, die Panik – das lief ab in den za r ten Strukturen, mit denen sie intuitiv jenes Symbol erfaßte, das zum zentralen Anliegen ihres Lebens geworden war.
    Brutalität und Einsicht, dachte sie bitter, und suchte ve r zwe i felt nach einem Epigramm, einer kurzen, verbitterten Formel, mit der sie ihre Gefühle von der Beziehung zw i schen diesen beiden Di n gen auf kristallklare und zugleich reinigende Art ausdrücken konnte. Doch zu ihrer zornigen Beschämung fiel ihr nichts ein; nur etwas, das anfing Wie doch im Leben … und sie zuckte u n willkürlich bei dieser abgedroschenen Phrase z u sammen, doch es war nicht die Abgedroschenheit, die sie b e unruhigte …
    Im Leben? Es gab kein Leben mehr, an das sie sich eri n nern könnte, keine Ereignisse, die dem Routineablauf Fr i sche und Substanz verliehen. Das Leben war weg, die Ve r gangenheit, dunkel und inhaltslos, war ein Gespenst – eine Leere – Sti m men, Szenen, Gesichter, Echo und Widerhall, durcheinander, verrückt, sinnlos. Alles war weg, nur ihr B e such auf dem Aeran, alles was sie dort erlebt hatte, der Er d wind, Gorstein und seine aggressive Sexualität, ein vages Gewebe aus Tatsachen und Szenerie, das Newgrange hieß, ein Erlebnis auf der Erde (Ich erinnere mich an die Erde!), ein Grab – bedeutungsvoll, aber nur noch schwach in ihrem degenerierenden Hirn bewahrt, nur weil es das Symbol en t hielt und daher in ihrem ve r engten Gesichtsfeld geblieben war.
    Geräuschvoll kauten Darren und Moir auf den Fladen aus Fel s wurzel-Schwämmen herum – Darren hatte sonst nichts Eßbares gefunden. (Darren beobachtete Elspeth mit zorn i gen Augen; Moir schien für nichts anderes als die Stillung ihres Hungers I n teresse zu haben); so konnte sich Elspeth mit der Tatsache vertraut machen, daß der Aeran sie e r wischt hatte, daß er alles el i miniert hatte, was ihr teuer war, und daß er nur darauf wartete, in ihre Neuronen hineinz u kriechen, alles ausz u reißen, was er in den vergangenen paar Wochen allenfalls übersehen hatte.
    Wie ruhig sie dabei war. Wie allein, wie tot – und doch wie vö l lig ruhig. Ihr Leben war fast nicht mehr da, und doch ging das Leben weiter, als seien mit dem Leben, das sie ve r lor, auch alle Gründe zum Angsthaben aus ihrem Organi s mus ausgeflo s sen.
    Indem sie absichtlich nicht an ihre Kindheit und Jun g mädche n zeit dachte, erkannte sie, daß die Jahre ihres Lebens mit ve r wischten Bildern von Nirgendwos und Niemands vollg e stopft waren, und das veranlaßte sie zu der falschen Annahme, daß e i gentlich alles in Ordnung sei. Bei jedem Versuch, Details zu s e hen, stieß sie ins Leere. Ihre ganze Vergangenheit bestand aus dem gleichen unbestimmten Gewebe, das ihr gegenwärtiges Gesichtsfeld abgrenzte: Fa r ben und Schattieru n gen, Bewegungen und Formen, die sie auf keine Weise definieren oder identifizi e ren konnte, die jedoch ein Gefühl der Vollständigkeit, der Wirklichkeit e r zeugten.
    Diese Illusion bewahrte ihr die Vernunft, half ihr, mit e i ner S i tuation fertig zu werden, in der sie eigentlich schreiend zum Ufer des Flusses hätte rennen müssen, dessen tiefe, e i sige, dunkle Wasser eine ganz eigenständige Lösung aller Probleme berei t hielten.
    Sie sank in Schlaf. Das Essen lag ihr schwer im Magen und stieß ihr mit aggressivem Nachgeschmack auf. Bei dem fernen jaule n den Schrei irgendeines gewichtigen Tieres sträubten sich ihr am ganzen Körper die Haare vor Angst, daß es knisterte. Sie bildete sich ein, das Untier krieche durch die unterird i schen Kavernen zu ihr hin, schnüffelnd, witternd, sein unerbit t liches Nahen mit dröhnendem Ruf ankündigend. In panischer Angst riß sie die Augen auf und starrte in die beleuchtete Ecke der Höhle. Die zierliche Moir zitterte heftig vor Kälte. Als Elspeth sich aufric h tete und das Gesicht verzog, weil der

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