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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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erinnerte, erschien vor ihrem geistigen Auge das Bild der drei Doppelspiralen in seiner ganzen komplexen Schönheit … sie sehnte sich d a nach, es selbst zu zeichnen, es in Stein zu ritzen oder in Blut zu malen; doch die Dunkelheit verweigerte ihr diesen Wunsch …
    Immer noch hockte sie am Hang und beobachtete den Hüge l kamm jenseits des Tales, der sich dunkel vor dem grauen Hi m mel abhob; doch nach den Anstrengungen des Tages übermannte sie der Schlaf. Ein Schatten bewegte sich auf dem Kamm – fließend … vielleicht war es nur Einbi l dung.
    In jenem Halbschlaf, in dem die Träume am lebendigsten sind, träumte sie, daß sie gebückt durch den engen Gang eines feuchten, dunklen Grabes kroch. Flackerndes Late r nenlicht warf ihren Schatten auf den unebenen Boden und erhellte die Zeichnungen und Ornamente auf den Wänden des Ganges.
    Stimmen, vertraut und doch unbekannt, trieben sie weiter.
    „Wer seid ihr?“ fragte sie angstvoll und berührte die ka l ten Ste i ne des Grabes.
    „Geh weiter!“ befahl eine Stimme; und sie kroch weiter, unter schiefen Stützpfeilern hindurch, die von dem u r sprünglichen Z u gang nur eine dünne Röhre übrigließen.
    Sie gelangte in das hohe Grabgewölbe und schauerte vor Kä l te. Mehrere Männer und Frauen kamen hinter ihr aus dem Gang.
    „Wer seid ihr?“ Sie erkannte die Gesichter, doch sie wu ß te nichts von ihnen.
    Alle waren sie tief beeindruckt von dem Gewölbe; Scheinwerfer erfüllten die Höhle mit ihren gelblichen Stra h len. „Seht!“ sagte eine Stimme. „Seht euch das an! Seht’s euch an …“
    Die Erregung erreichte den Höhepunkt.
    „Wer seid ihr denn nur?“ fragte sie wieder und schaute hoch zur verkleideten Decke … Steinplatten überlagerten sich und bild e ten einen umgekehrten Bienenkorb, der ihr so bekannt vorkam …
    Steinwannen auf dem Boden, drei kleine Seitenkammern, a l les reich geschmückt mit einer Fülle von Spiralen und Kreisen …
    „Da! Seht euch das doch bloß mal an!“
    Zusammen mit all diesen Fremden schaute sie auf die kompl i zierten Reliefs der mittleren Kammer, gegenüber den Doppelspiralen in Dreiecksanordnung … sie spürte die E r regung und die Fremdartigkeit; die Gesichter grinsten sie an.
    „Wer seid ihr alle?“ fragte sie wieder, doch sie lachten nur und betasteten die Steine. Arme umschlangen sie, Finger zup f ten an ihrer Kleidung …
    „Laßt das!“ schrie sie und starrte in das lächelnde Gesicht eines der fremden Männer und auf die überlappenden De c kenplatten hinter ihm …
    „Du willst doch“, sagte er, „du bist doch die, die ständig von der Sexualität dieser Gräber redet und was es für Spaß machen mü ß te, hier …“
    „Laß das!“ schrie sie; die Spiralen tanzten vor ihren A u gen, das Licht der Traglampen blendete sie, das Gewicht des Ma n nes, der in sie hineinstieß, erstickte ihren Atem, ihre Sinne … Gelächter, Erregung umwirbelten sie, der kalte Stein preßte ihren nackten Rücken …
    „Wer bist du?“
    Sie erwachte von ihrem eigenen Schrei, und sie lächelte, als der Traum verblaßte. Die Gesichter schwanden, der ga n ze Traum wurde zu einem verschwommenen Fleck selts a mer Bi l der, einem unbedeutenden Stück Phantasie.
    Der Morgen dämmerte bereits – es war sogar schon so hell in der kalten Landschaft, daß sie zu der Ansicht kam, die Morgendämmerung müsse schon vor einiger Zeit eing e treten sein. Dicke Wolken verhüllten die gelbe Sonne. R a schelnd bewegten sich die Pflanzen in der Morgenbrise; Kälte und Schnee lagen in der Luft und zeigten, daß sie nicht nur zum Winter hinaufstiegen, sondern daß er ihnen auch noch von oben en t gegenkam.
    Am Schlafplatz war noch alles ruhig. Die Erschöpfung des g e strigen Gewaltmarsches mußte wohl den inneren Wecker abgestellt haben, der sie sonst um diese Zeit aus dem Schlaf holte. Auch sie war müde, doch mehr körperlich als geistig. Sie war noch ganz verkrampft von ihrem z u sammengerollten Schlafen, doch ein schmerzhaft-kaltes Tauchbad im eisigen Bach würde wohl rasch ihre Leben s geister wecken.
    Sie stand auf, reckte sich, suchte die Dämmerung nach Anze i chen von Gefahr ab, sah nichts – bis sie hinunter zum Bach blic k te.
    Ein Mann hockte am anderen Ufer, bespritzte sich das Gesicht und trank aus der hohlen Hand.
    Der Schatten in der Nacht, der über den Kamm geko m men war! Das war keine Wolke, kein Schwarzflügler gew e sen, so n dern der Verfolger! Er war bis auf ein paar hundert Yards herangeko m men und

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