Erdwind
Kopf und legte sich auf die Se i te. Iondai gab Elspeth wieder seine L e derdecke und scharrte etwas dürres Gestrüpp zusammen, mit dem er sich zudeckte. Sie froren alle sehr, doch Elspeth war fast gelähmt vor Kä l te.
Schlafen konnte sie nicht, und sie war dankbar, daß Da r rens E r schöpfung seinen sexuellen Appetit dämpfte. So stand sie von ihrem Erd-Bett auf, wandelte ein Stückchen über den ka h len Hang, hockte sich dann hin und starrte auf den Kamm über dem nächsten Tal. Wann, so fragte sie sich, würde Gorstein diesen Geröllpfad heruntergerutscht ko m men? Erst nachdem sie die Höhle erreicht hatten? Bestimmt schon früher. Die Höhle und damit die letzte Chance, dieses flüchtige Verstehen zurückzuer o bern, das sie vor ein paar Tagen erlebt hatte, lag noch mehrere Tagesmärsche höher … über kahle Felsen, schmale Saumpfade … und durch Schnee, tiefen, eisigen Schnee.
Eine Vision riesiger Flächen gleitenden Eises jagte ihr unb e herrschbare Schauer durch den Leib. Warum fürchtete sie sich so vor dieser harmlosen Substanz? Warum empfand sie so he f tige, gerade noch unterdrückbare Übelkeit bei dem bloßen G e danken, daß eine Schneeflocke ihre Haut berühren würde? Die Antwort lag irgendwo in jener Leere, die ihre Vergangenheit war. Sie empfand weder Bedauern noch Bi t terkeit über den Verlust dieser Jahre ihres Lebens – wie könnte sie auch, wenn sie nicht mehr wußte, was sie verl o ren hatte?
Gesichter … Bilder … ein Gefühl der Isoliertheit … Stunde um Stunde sog das Vakuum auf dem Aeran mehr und mehr von di e sen Überresten auf. Sie merkte, daß sie Ausdrücke gebrauchte, bei denen sie mitten im Satz inn e hielt, weil sie nicht mehr wußte, was sie sagte, was sie mei n te. Sie konnte immer noch dahinte r kommen – gewöhnlich ergab es sich ohne weiteres aus dem Z u sammenhang. Aber immer öfter passierte es ihr, daß sie zum Sprechen ansetzte und dann im letzten Moment innehielt, weil ihr irgendeine Metapher, ein Ausdruck entfallen war, so daß sie nicht mehr wußte, was sie sagen sollte.
Wo saß die Sprache? Wo im Gehirn? Irgendwo vorn, ein größeres Gebiet einer Hirnhälfte und ein kleiner Fleck i r gendwo im Hinterhirn; so ähnlich hatte Ashka es ihr erklärt. Das war’s – die linke Hirnhälfte für die Sprache; das en t sprechende Gebiet der rechten für geometrische Perspektive – will sagen: Symbole. Es kam aufs gleiche hinaus: ein Ve r stehen der B e deutungen diverser Symbole; und an diesen Gebieten war der aeranische Psychoparasit, der mit so gr o ßem Appetit die anderen Teile des Hirns au f fraß, offenbar nicht interessiert.
Und das stimmte in Wirklichkeit gar nicht. Nur die inte l lektue l len Gedächtniszellen waren angegriffen. Sie hatte nicht verge s sen, wie man geht oder assoziiert oder schreibt … es war das abstrakte Wissen, das abgesaugt wurde … Erfa h rungen, Erinnerungen, die Gesichts- und Gehörsaufzeic h nungen ihrer dreißig Lebensjahre, die Gebiete der Lust, der Sehnsüchte, der Erfahrungen, die im Notfall wieder herau s gezogen werden konnten, die aber zum Überleben nicht u n bedingt nötig waren, wie anderes im Leben Erworbene, ei n schließlich der Kommunikation.
War es so einfach? Überleben auf dem Aeran? Sprache nur zu Funktionszwecken, weil Tun jetzt wichtiger war als Introspekt i on, als Denken? Die alte Weise, die primitive Ethik.
Der Aeran warf aus jedem Hirn alles heraus, was übe r flüssig war, so daß … ja, so daß …? So daß das Hirn hübsch leer sein würde, um neue Erfahrungen aufnehmen zu kö n nen? So daß die lästigen Erinnerungen an ein anderes Un i versum nicht mehr da sein und das neue Tier verwirren, se i ne Überlebenschancen negativ beei n flussen konnten?
Wenn das so war, dann war es nicht der Aeran, der ze r störte, sondern ihr eigenes Denken! Ashka hatte darüber e t was gesagt … aber was?
(Panik! Sekundenlang blieb alles weiß, als sie versuchte, den Dialog zu rekapitulieren; doch dann fiel ihr der Nebel ein. Durch den Nebel erinnerte sie sich an das lange, ruhige G e spräch mit dem Rationalisten.)
Ashka hatte vom Wandel in den Beziehungen zum ching gespr o chen … ihrer und seiner eigenen. Nicht diese Welt ist es, hatte er gesagt, sondern unser Denken. Wir müssen – unb e wußt – uns darauf einstellen, daß das Zeitsystem auf dem A e ran anders ist; doch wie bei dem Computer auf dem Schiff war diese Erkenntnis – aus irgendeinem Grunde – mit einem Ze n trum liiert, das nicht mit
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