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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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Und auch die nur um einen schrecklich hohen Preis. Schrecklich hoch. Das ching ist ein empfindliches und wählerisches Orakel; es ist in uns allen, und wir bauen unsere Beziehung zu ihm auf, indem wir die Phil o sophie lesen, die es in Tausenden von Jahren durch die Me n schen artikuliert hat. Die Worte auf dem Papier sind ganz gleichgültig; wichtig ist, was sie inne r lich bedeuten. Und um diese Bedeutung zu erfassen und sie mit deinem Zukunftsg e fühl zu verkoppeln, mußt du das Orakel verstehen und lieben. Und das tust du nicht, Karl. Du verstehst es weder, noch liebst du es. Aber es versteht dich, und jawohl, ich glaube, es liebt dich, und mit mir als Mittler leitet es dich. Doch wir wären beide so froh, wenn du es …“
    „Verstehen könntest.“
    „Ja, Karl. Verstehen könntest.“
    „Ich werde es versuchen.“
    Wieder blickten sie auf das Hexagramm. „Was besagt diese g e brochene Linie?“
    Nach kurzem Zögern erwiderte Ashka: „Er verbirgt seine Scha n de.“
    Gorstein spürte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich, doch er blieb ruhig. Schande! Was lasse ich diesen Mann mit mir m a chen? Schande? Unerträglich! „So daß die ganze schlechte Nachricht lautet: »Persönliche Katastrophe’ – würdest du es so ausdrücken? –, ‚die von einem Fehlschlag im Verlauf dieser Mission herrührt’?“ sagte er laut – es sol l te fatalistisch klingen.
    „Wenn es so ist, dann laß es nicht dazu kommen. Auße r dem habe ich sehr starke Zweifel daran, daß bei dieser Si t zung überhaupt ein exaktes Resultat herauskommen kann. Es ist von grundlegender Wichtigkeit, Karl, daß du dein i n neres Gleichgewicht erlangst, ehe du das ching in dieser S a che weiter b e fragst.“
    „Ja“, entgegnete Gorstein ernst. Er stand auf, trat nackt wie er war, ans Fenster und starrte hinaus auf die stummen Erdwälle der Aerani-Siedlung. „Danke, Rationalist. Danke für deine Zeit und Kraft.“
    „Die Konsultation ist doch noch nicht beendet“, sagte As h ka, und ihm war anzusehen, daß er überrascht war, weil Go r stein das Orakel aufgab, ehe er den vollen Spruch gehört hatte.
    „Danke, sagte ich. Das ist alles.“
     
     
    Ashka starrte auf Gorsteins nackten Körper, der als dun k le Si l houette gegen das helle Tageslicht stand. Gorstein war ein kräftig gebauter Mann mit leichtem Fettansatz an Hüften und Schenkeln, doch muskulös und geschmeidig dabei. Aber wie er da am off e nen Fenster stand, schien er zu altern, krumm und schlaff zu werden, seine festen Konturen zu ve r lieren. Ashka blickte auf den Bildschirm hinab und sagte leise: „Wechsel!“ Das Hex a gramm flimmerte, die Linien wechselten zu einem neuen Ze i chen.
    Hexagramm 33, ‚Rückzug – Gelingen – für Kleine ist fö r dernd Beharrlichkeit’. Ashka verstand eine dieser Implik a tionen nur zu gut, doch er blieb stumm und suchte seine G e räte zusammen. Als er das ching aufhob, zögerte er und hielt es in seinen zitternden Händen, fühlte den rauhen Stoff des Ei n bands, roch genüßlich den Duft der alten Blätter. Immer vermittelte ihm dieses Buch ein starkes, fast greifbares E r kenn t nisgefühl, wenn er es in Händen hielt. Es war ja, wie er wußte, nur ein Schlüssel zur Tür in das eigentliche Orakel – und doch war dieses Gefühl immer am stärksten, wenn er das Buch in Händen hielt. Es war, als sei es immer zornig, als seien die bedruckten Buchseiten wie die tiefen Linien im Gesicht eines Mannes, die auf eine zornige Natur hi n deuten, auch dann, wenn sein Herz zeitweise frei von Zorn ist. Am Zorn des ching waren die anderen Orakel schuld. Das seid e ne Tuch schirmte es ab vom Tarot und von der Extrapolativ-Funktion des Schi f fes; doch es wußte, daß sie da waren – es grollte ihnen, aber das Grollen war immer sehr leise.
    Jetzt, mit dem ching in seinen Händen, Gorstein beobac h tend, doch ohne daß er etwas anderes wahrnehmen konnte als das G e fühl des tao, das sich im Buch verdichtete, spürte er stärkeren Zorn, eine fast greifbar deutliche Emotion des ching. Es mußte Eifersucht sein.
    Gab es draußen auch ein Orakel? Wenn ja, dann mußte es ein sehr kräftiges sein, weil es so auf das ching wirkte. Er hüllte es in sein Tuch und packte die anderen Gerätschaften ein. Wor t los, rückwärts gewandt, verließ er den Raum und überließ Go r stein dem Nachdenken über seine nächsten Schritte.

3
     
     
    Elspeth war jetzt etwas wärmer gekleidet: kurzer weiter Rock und Jacke. Sie hockte in dem kleinen Unterschlupf, den

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