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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, weil sie nicht weitergetappt war, als der Tunnel so unvermittelt end e te; und auf einmal fühlte sie sich auch nicht mehr so beengt.
    „Irgendwo an der Seite führen Stufen hinunter in die Höhlen. Wir müssen uns entlangtasten, bis wir an den Gang nach oben ko m men. Hast du Angst vor der Dunkelheit?“
    „Überhaupt nicht“, antwortete Elspeth voller Zuversicht, „nur vor dem, was vielleicht drin ist.“
    „Ich auch“, entgegnete das Mädchen, „aber wenn wir z u sa m menbleiben, tut’s uns vielleicht nichts.“
    „Was? Was kann uns was tun?“
    Krampfhaft faßte Moir Elspeths Hand fester und gab i r gendwe l che Laute von sich, die vielleicht bedeuten sollten: Sei still. Das ist, als wenn man blind ist, dachte Elspeth, während sie den B o den der Kammer mit der freien Hand abtastete. Worauf habe ich mich da eingelassen?
    Ihre Finger stießen an etwas Weiches in einer Ecke des Raumes. Weich und krümelig. Sie nahm ein bißchen d a von auf und barg es in ihrer Tasche. Wenn es Mensche n asche war, würde ihr hinterher wohl etwas komisch zum u te sein.
    Einen Moment ließ sie Moirs Hand los und tastete ein Stück der kalten felsigen Wand nach etwaigen Symbolen und Ritzzeichnungen ab. Sie fand ein paar einfache Sonne n bilder und die fließenden, verwobenen Linien, die so auss a hen wie ein Fluß auf der Karte, die jedoch eine tiefere B e deutung hatten, an die Elspeth kaum zu denken wagte … und das aufregendste war die unverkennbare Form einer e n gen Doppelspirale, zwei Spiralen mit einem gemeinsamen Mittelpunkt, parallel verla u fend. Bevor sie die Zeichnung in dem Pechdunkel genauer erforschen konnte, zupfte Moir sie am Ärmel. „Komm weiter!“
    Zögernd wandte sich Elspeth von der Felswand ab und hoc k te sich am Loch nieder. So etwas gab es nirgends in den alten Gräbern in Irland, überlegte sie; es sei denn, die Stei n plattenböden jener prähistorischen Tumuli waren in Wir k lichkeit Fal l türen …?
    Das Gefühl von Kälte und Eingeschlossenheit, der mo d rige Erdgeruch glichen so sehr den rätselhaften Hügelgr ä bern auf der fernen Erde. So vieles war vertraut, so vieles sogar identisch – der bloße Gedanke daran ließ sie erscha u ern. Der Kopf schmer z te ihr, wenn sie darüber nachgrübelte, was hier auf dem Aeran vor sich ging, und dabei auf so vi e les stieß, was ihr vertraut war.
    „Komm doch weiter!“
    „Weißt du bestimmt, daß das keine Begräbnisstätte ist?“
    Moir schauerte. „Wer möchte sich hier schon begraben lassen? Es ist so … kalt.“
    „Aber verbrannte Überreste … ihr verbrennt doch die Augen und Hände eurer ehrenvoll Verstorbenen, nicht war?“
    „Diese Asche wird aber unter dem Schlafschirm des b e treffenden Mannes vergraben. Hier, an diesem Ort, würde sie ni e mandem etwas nützen.“
    Das muß also schon sehr lange her sein, dachte Elspeth. Vor der Tradition der Augen und Hände: Wenn man in E h ren starb, wu r den sie verbrannt; wenn nicht, dann ließ man sie im Marschland verrotten. Der Leichnam wurde im Bla u rinde n wald an einen Baum gebunden, zum Verzehr durch die Erdgeister. Elspeth hatte diesen »Friedhof bei ihrem e r sten Landgang gesehen, und es war ein abstoßender Anblick gewesen. Nach einem Todesfall war es zwei Tage lang ve r boten, im Wald zu jagen, damit die Geister in Gestalt der Schwarzflügler den Leib verzehren und unbehelligt wieder verschwinden konnten. So wurde die Körper-Anima b e wahrt, und die Geister von Augen und Händen konnten die Fam i lie beschützen.
    Inzwischen hatte Moir die Stufen gefunden, und sie sti e gen in das Loch hinab, vorsichtig und unter Schmerzen (denn die Steine waren rauh), etwa fünfzehn Fuß tief; dann standen sie in einem unterirdischen Gang. Hand in Hand tasteten sie sich vorwärts, berührten die eiskalten Felswände, stolperten, suc h ten, näherten sich der Stelle, wo der Gang unter den Erdwä l len des crog hindurchging. Manchmal rührten Elspeths Fi n ger an eingemeißelte, schadhafte Symbole, die sie schon kannte und bereits interpretiert hatte. Hier und da waren aber auch unbekannte Runen in den Stein geme i ßelt.
    In der Ferne rauschte Wasser, und einmal, als sie durch einen weitläufigen Raum kamen, öffnete sich zu ihrer Rec h ten ein Gang, an dessen Ende ein Licht schimmerte.
    „Was ist das?“ flüsterte Elspeth.
    Moir hätte beinahe aufgeschrien, um ihr Schweigen zu gebi e ten; sie schlug ihre kleine Hand über Elspeths Mund, murmelte

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