Erdwind
dann ritzen sie solche Symbole in die Steine … und auch andere. Die hier sind Wasser-Symbole … dieses hier bedeutet, Asche im Wasser’ … das da ist die Bi t te an das Wasser, es möge die Anima eines Ertrunkenen z u rückgeben … das hier bittet um die Erlaubnis, ein im Teich lebendes Tier zu fangen.“ Sie stand auf, ohne einen Blick von der Vielfalt der Symbole zu wenden. „Anderswo gibt es Luft-Symbole und Baum-Symbole und Erd-Symbole. Es gibt ein enormes Alph a bet dieser Zeichen, und in den letzten hundert Stunden oder so habe ich zusammengestü c kelt, was sie bedeuten – das ist ung e fähr die gesamte Zeit, die ich auf dieser Welt verbracht habe.“
„Die Beziehung zu Abstraktionen fällt mir schwer“, erw i de r te Ashka und sah sich in dem dichten Wald um. „Das muß ich wohl von meinen Vorvätern geerbt haben. Mir ist es lieber, wenn ich das ganze Bild sehe und es dann mit den Augen des Geistes auf sein Wesentliches reduziere. Diese Symbole …“ – er starrte auf den Felsen hinab – „… es ist etwas Wesentliches an ihnen, g e wiß, doch sie lösen kein sonderliches Gefühl von Bedeutsamkeit in meinem Kopf aus. Ich bin mehr für Lan d schaften.“
„Die schlafenden Drachen …“, warf Elspeth ein, und er lächelte.
„Sie mögen ja obskur sein“, sagte er dann und berührte wiederum einen der Kreise, „aber ich spüre da etwas unb e stimmt Vertra u tes.“
„Einfache Muster, einfache essentia, manifestieren sich kontin u ierlich in verschiedenen Kulturen …“
„Ah ja“, stimmte Ashka zu und stand wieder auf. „Ich glaube, ich verstehe, worauf Sie hinauswollen. Irgendwo anders haben Sie nicht nur ähnliche, sondern identische Symbole gesehen. Ist es das?“
„Genau“, sagte Elspeth rasch, hielt aber dann inne. Im Begriff zu erklären, was sie so aufregte, fiel ihr ein, wie f a natisch sie j e mandem vorkommen müsse, der mit der Kunde primitiver Völker nicht vertraut oder daran nicht interessiert war.
Mit sorgsam gewählten Worten bemühte sie sich daher, Ashka ins Bild zu setzen, wobei sie versuchte, in seiner Ha l tung, seinen Reaktionen zu lesen, bereit, sofort aufzuhören, wenn sie auch nur im geringsten merkte, daß er die Sache lächerlich fand. Doch schon nach ein paar Minuten stellte sie im Gege n teil fest, daß er weit davon entfernt war, sie für eine Fanatikerin zu halten, sondern daß er fasziniert und i n tensiv zuhörte.
Es hatte angefangen, als sie mit der Randgebiets-Gesellschaft lebte, als Mitglied einer kleinen Kommune, mit der sie gute B e ziehungen hatte, obwohl sie sich physisch ziemlich isoliert hielt und mit den anderen in der Hauptsache nur zusamme n kam, um zu reden und Ideen auszutauschen. Die Leute hatten nicht recht gewußt, was sie mit ihrer Zeit und ihren Interessen anfangen sol l ten, und so waren sie in corpore zur Erde gefl o gen und arbeiteten freiwillig beim Archäologischen Restaur a tionsprogramm West-Europa mit. Nach dem Dreistunden-Krieg, der vor ein paar Jahrhunde r ten stattgefunden hatte, war vieles von dem, was hist o risch interessant war, noch unter Staub, Sand und Geröll begr a ben; und langsam wurden diese prähistorischen Monumente, die im zwanzigsten und einun d zwanzigsten Jahrhundert so mühevoll freigelegt worden waren, erneut ausgegraben und restauriert.
Sie hatten erst in Frankreich gearbeitet, dann in Irland, und zwar an dem uralten Steinzeit-Krematorium im Stro m gebiet des jetzt ausgetrockneten Flusses Boyne. Tausende von Freiwilligen a r beiteten längs des Boyne, die meisten an der Au s grabung der Hügelgräber eines Volkes, das drei- oder vierta u send Jahre vor Christus an diesen Hängen gelebt hatte. Es gab eine zerfallene Touristenstation aus dem ei n undzwanzigsten Jahrhundert und diverse Hoch- und Tie f bauten aus der gle i chen Zeit, darunter ein ausgezeichnetes Specimen einer Teer-Chaussee, die nunmehr in der Länge von vierhundert Yards freigelegt war.
Doch das großartigste war der Hügel von Newgrange, ein Tumulus, der Fluß und Straße überragte, ein echter weißb e kappter brugh, der auf fünfzig Meilen im Umkreis sichtbar gewesen war. Man hatte ihn jetzt weitgehend restauriert. Voll erhalten war ein aus früher Urzeit stammender Ring behauener Steine sowie eine Einfassung aus riesigen Fel s brocken, die in die Konstruktion zu unbekannten, vermutlich rituellen Zwe c ken hineingebaut war. In jenen dunkelsten Zeitaltern, noch bevor die legendären Pyram i den Ägyptens entstanden waren, hatte
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