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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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unbeendeten Satz, kam heran, setzte sich auf den Floßrand und sah ihn entschlossen an.
    „Na?“
    „Was heißt ‚na’?“
    „Sie haben es also herausbekommen.“
    Er lachte. „Zum Teil. Nur zum Teil.“
    „Diesmal“, entgegnete Elspeth, „kommen Sie mir nicht so leicht davon.“

11
     
     
     
    Als der Nebel aufstieg, klomm Elspeth aus dem Tal hi n auf und sah dem Floß nach, das über dem Unterholz auf den fernen Wald zuschwebte. Sie hatte Ashkas Angebot, sie zum crog zurückz u bringen, abgelehnt. Sie hörte Stimmen hinter sich, drehte sich um und sah Darren und Moir, die einen t o ten Schwarzflügler schleppten. Eilends kam sie ihnen zu Hilfe, auch in der Hoffnung, daß die Geschwister sich wi e der vertr a gen hätten; doch was sie miteinander sprachen, bezog sich nur auf ihre gegenwä r tige Tätigkeit.
    „Fein gemacht“, sagte sie und faßte mit an. Darren gab keine Antwort.
    Gegen Abend, als Elspeth im crog saß, und zwar direkt am inneren Wall, weit weg von der größten Gruppe der A e rani, sah sie ein unblutiges Duell um das Recht, das Fluß-Lied zu singen. Moir war draußen, und Elspeth hatte ihr vor etwa einer Stunde ein paar Bissen zum Essen hinausg e schmuggelt. Das Mädchen war unglücklich, doch es ging ihr nicht allzu, schlecht. Darren hatte ihr eine Decke aus Schwarzflügler-Leder und ein kleines Knochenmesser geg e ben. Der junge Mann saß mißmutig nahe der Hauptgruppe am Feuer, doch war sein Gesicht vorwiegend im Dunkeln. Die Fackeln rings an den Erdwällen wurden soeben ang e zündet.
    Das Duell war entschieden, die Gegner wurden getrennt, und der Verlierer hockte sich finster am Außenrand des Feuers hin. Der Sieger kroch den inneren Wall empor, hoc k te sich oben auf den Rand und sang das unheimliche Fluß-Lied mit seinen rauschenden Kadenzen und knackenden Kehllauten. Der Sä n ger des Baum-Liedes war stimmlich ebenfalls in Hochform; die beiden Melodien vermischten und verschlangen sich über dem glose n den Feuer. Vor Elspeths innerem Auge tauchten bruchstückhafte Bilder aus ihrer Heimatwelt auf, und aus der stillen ländlichen Einsa m keit, die sie auf dem Planeten Erde erlebt hatte. Sie eri n nerte sich noch an vieles, und sie war erleichtert, als sie das fes t stellte – doch ihr Leben auf dem Neu-Anzar war ihr jetzt fast ganz entfallen. Es kam in Fragmenten wieder hoch, und bei Gelegenheiten wie dieser, wenn die Erd-Sänger sie mit i h rem Lied verzauberten oder die melancholischen Beschw ö rungen des Wind-Sängers ihr das Gefühl der Stürme z u rückbrachten, die den Anzar peitschten und seine ung e schützte Oberfläche so todgefährlich machten. Die Win d sängerin sang heute nicht, wie Elspeth bemerkte. Die Frau saß geduckt auf halber Höhe der Brustwehr und starrte ins Feuer hinunter; gelegentlich sang sie ein paar Töne, doch die spürb a re Spannung in der Gruppe dort unten beunruhigte sie ansche i nend. Was beeindruckte sie so, fragte sich Elspeth. Was spürte sie im Wind? Oder war der Glaube an eine m y stische Funktion dieser Sänger einfach Unsinn?
    Die Windsängerin war die angesehenste unter allen Er d sängern. Iondai wählte sie aus und konnte sie nach Lust und Laune abse t zen, doch seine Lust und Laune gründeten sich vie l leicht auf das, was er selber im Winde gelesen hatte. Die and e ren Sänger, ‚Fluß’ und ‚Baum’, wechselten von einem Fackel-Zyklus zum anderen, und jeder im crog konnte die Stellung eine Zeitlang innehaben. ‚Felsen-Lied’ aber war das höchste Privilegium für alle, die im crog lebten, und für alle Zeiten. Eine Form des Gebets, um den Erd-Geistern eine Gunst abzuzwingen – zweifellos hatte es in erster Linie K a tharsis-Funktion.
    Manchmal wurde das Gespräch am Feuer lebhaft, sogar heftig. Elspeth konnte nicht viel davon hören, was sie natü r lich ärgerte, doch wagte sie nicht, ihren Platz am Rande des Feue r scheins zu verlassen, um eine Vorstellung davon zu beko m men, worüber gesprochen wurde – falls die Ungenn sie immer noch als eine Art Dünenläuferin in der Probezeit betrachteten, flog sie bestimmt ohne weiteres hinaus, wenn sie von dem vorgeschriebenen Spir a lenweg abwich.
    Sie horchte angestrengt; soviel sie verstehen konnte, ging es in der Hauptsache darum, daß die Jenseitler ihre ‚Kn o chen-Geister’ nicht mehr, wie ursprünglich vorgesehen, e i nigen Auserwählten verleihen wollten. Die meisten waren davon überzeugt, daß ein solcher Besitz für den crog von großem Wert sein würde; doch waren

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