Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel
daß ich den Kampf gewonnen hatte. Es war kein großer Schrei, aber im Geist werde ich ihn hören bis ans Ende meiner Tage.«
»Kern!« Roods Mund verzog sich zu einem dünnen Lächeln. »Seit dem Lenz stellen die Herren von An nur noch zwei Fragen: Wer ist der Mann, der Rendel heiraten wird, und wie lautete das Rätsel, das Peven nicht lösen konnte? Hagis, der König von An, der Großvater meines Vaters, ließ in Pevens Turm sein Leben, weil er dieses eine Rätsel nicht wußte. Die Herren von An hätten diesem kleinen Eiland mehr Aufmerksamkeit widmen sollen. Jetzt werden sie es gewiß tun.«
»In der Tat«, meinte nachdenklich der Großmeister Ohm, ein magerer, stiller Mann, dessen ruhige Stimme immer gleich blieb. »Vielleicht hat man der Insel Hed im Laufe der Geschichte des Reiches stets zuwenig Aufmerksamkeit gezollt. Es gibt noch ein Rätsel ohne Lösung. Hätte Peven von Aum Euch dieses Rätsel aufgegeben, so wärt Ihr trotz all Eures Wissens heute vielleicht nicht hier.«
Morgon blickte ihm in die Augen. Sie waren nebelgrau, ruhig wie seine Stimme. »Ohne Lösung und Lehrsatz wäre es aus dem Wettbewerb ausgeschieden.«
»Und wenn Peven die Lösung zur Hand gehabt hätte?«
»Wie hätte das möglich sein sollen? Großmeister Ohm, in meinem ersten Jahr hier halft Ihr uns einen ganzen Winter lang nach einer Lösung zu diesem Rätsel suchen. Peven entnahm sein Wissen den Büchern der Zauberkunst, die Madir gehört hatten, und vor ihr den Zauberern von Lungold. Und in all ihren Schriften, die ihr hier habt, werden nirgends drei Sterne erwähnt. Ich weiß nicht, wo ich nach einer Lösung suchen soll. Und ich suche auch gar nicht - dergleichen liegt mir dieser Tage fern.« Rood fuhr auf. »Und dies ist der Mann, der mit seinem Wissen sein Leben in die Waagschale legte. Hüte dich vor dem unlösten Rätsel.«
»Eben das ist es: Ungelöst, und, wer weiß, vielleicht braucht es gar keine Lösung.«
Roods Arm sauste in flatterndem Ärmel durch die Luft.
»Jedes Rätsel hat eine Lösung. Versteck dich hinter den verschlossenen Toren deines Geistes, du starrköpfiger Bauer. In hundert Jahren werden Schüler im weißen Gewand des Gesellenstandes sich die Köpfe kratzen in dem Bemühen, sich den Namen eines obskuren Fürsten von Hed ins Gedächtnis zu rufen, der, wie ein anderer obskurer Fürst von Hed, das A und O der Rätselmeisterschaft mißachtete. Ich glaubte, du hättest mehr Verstand.«
»Ich habe nur einen Wunsch«, gab Morgon kurz zurück. »Ich will nach Anuin reisen, Rendel zur Frau nehmen und dann nach Hause zurückkehren, um Getreide zu pflanzen, Bier zu brauen und Bücher zu lesen. Ist das so schwer zu begreifen?«
»Ja! Wie kannst du so vernagelt sein? Ausgerechnet du?«
»Rood«, sagte der Großmeister Tel in mildem Ton, »du weißt, daß eine Antwort auf das Sternenmal in seinem Gesicht niemals gefunden wurde. Was sollte er deiner Meinung nach noch tun?«
»Meiner Meinung nach«, versetzte Rood, »sollte er den Erhabenen fragen.«
Darauf trat ein kurzes Schweigen ein. Das Rascheln des Gewandes von Großmeister Ohm brach die Stille.
»Ja, in der Tat, der Erhabene würde die Antwort wissen. Ich vermute allerdings, ihr werdet Morgon stärkeren Ansporn geben müssen als das Wissen um des Wissens willen, damit er eine so lange, beschwerliche Reise auf sich nimmt.«
»Das ist gar nicht nötig. Früher oder später wird er dort hingetrieben werden.«
Morgon seufzte. »Sei doch vernünftig! Ich möchte nach Anuin reisen, nicht zum Erlenstern-Berg. Ich will keine Rätsel mehr stellen; seitdem ich eine ganze Nacht lang vom abendlichen Zwielicht bis zur Morgendämmerung in einem nach Tod und Fäulnis stinkenden Turm gesessen und versucht habe, mir sämtliche Rätsel, die ich je lernte, aus den Gehirnwindungen zu saugen, habe ich eine Abscheu vor Rätselkämpfen.«
Rood beugte sich vor. Jede Spur von Spott war in seinem Gesicht erloschen.
»Du wirst mit Ehren von hier fortgehen, und Großmeister Tel sagte, daß man dir heute das schwarze Gewand anlegen wird; denn du hast vollbracht, was selbst der Großmeister Laern nicht vollbringen konnte. Du wirst nach Anuin reisen, und die Herren von An, mein Vater und Rendel werden dir zumindest die Achtung zollen, die dir für dein Wissen und deinen Mut gebührt. Wenn du aber das schwarze Gewand annimmst, dann wird es eine Lüge sein; und wenn du Rendel den Frieden von Hed bietest, so wird auch das eine Lüge sein, ein Versprechen, das du nicht halten wirst,
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