Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel
oben an der Luft wohler fühlen. Es sind genug Felle von Euren eigenen Schafen da, Euch warm zu halten.«
»Dank Euch«, gab Morgon zurück.
Auf einer großen Rolle Kabel sitzend, die Arme auf die Reling gestützt, blickte er in den weißen Schaum des Kielwassers, das sich strudelnd zum Ruderschlag des schweigenden Steuer- manns drehte. Seine Gedanken wanderten zu Rood; er verfolgte die Wirrungen ihres Streits zurück bis zu ihrem Ursprung und rätselte über den Kern der Auseinandersetzung. Der Wind trug die Stimmen der Schiffsbesatzung herüber, Wortfetzen von den Gesprächen der Händler über die Waren, die sie mit sich führten. Die Masten ächzten unter dem Druck des Windes; schwer beladen, tief im Wasser liegend, schnitt das Schiff nur leicht schlingernd durch die Wellen. Der Ostwind strich Morgon über die Wangen, das Knarren und sachte Schaukeln des Bootes schläferten ihn ein. Er legte den Kopf auf die Arme und schloß die Augen. Er schlief, als das Schiff plötzlich gerüttelt wurde, wie von den zwölf Winden zugleich gepackt, und als er hochschreckte, hörte er das dröhnende, unkontrollierte Schlagen des Ruders.
Er sprang auf. Der Ruf, den er ausstoßen wollte, erstarb ihm auf den Lippen, als er sah, daß das Deck hinter ihm leer war. Das Schiff, dessen Segel im rauhen Wind voll gebläht waren, schwankte heftig, so daß er gegen die Reling geschleudert wurde. Im letzten Moment vermochte er sich festzuhalten. Das Kartenhaus, wo die Händler im Lampenschein über ihren Papieren gesessen hatten, war finster. Heulend fuhr der Wind in die Segel, und das Schiff neigte sich so heftig, daß Morgon unter sich plötzlich weißen Schaum schimmern sah. Langsam kam er mit dem Schiff wieder hoch, die Zähne hart aufeinandergebissen, und spürte trotz der feinen, kalten Gischt, die ihn übersprühte, wie ihm im Nacken der Schweiß ausbrach.
Er sah, wie sich die Luke zum Laderaum widerstrebend gegen den Wind öffnete, erkannte das Haar, das im Mondlicht die Farbe von Spinnweben hatte. In einem Moment der Windstille rannte er hinüber, hielt sich dabei an jedem Balken und an jeder Ecke fest, an denen er vorbeikam. Zweimal mußte er rufen, ehe er gehört wurde. »Was machen die da unten?«
»Im Laderaum ist kein Mensch«, gab Thod zurück.
Morgon starrte ihn an, ohne zu begreifen. »Was?«
Thod, der in der offenen Luke hockte, legte eine Hand auf Morgons Arm. Bei der Berührung und dem über die Decks fliegenden Blick zog sich Morgons Kehle plötzlich zusammen. »Thod - «
»Ja?« Der Harfner schob die Harfe etwas höher auf seine Schulter. Die Brauen hatte er gerunzelt.
»Thod, wo sind die Händler und die Seeleute? Sie können doch nicht einfach - sie können sich doch nicht einfach aufgelöst haben wie Schaumblasen. Sie - wo sind sie? Sind sie über Bord gestürzt?«
»Wenn das der Fall ist, dann haben sie vorher noch genug Segel gehißt, um uns mit sich zu nehmen.«
»Wir können das Segel einholen.« - »Ich glaube«, entgegnete Thod, »dazu haben wir keine Zeit mehr.«
Noch während er sprach, schleuderte sie das Boot in einem seltsam steifen Aufbäumen nach rückwärts. Die Tiere schrien vor Angst; das Deck unter ihren Füßen ächzte und stöhnte, als wollte es bersten. Über Morgons Kopf riß ein Tau, sauste peitschend über das Deck; rund um sie herum splitterte Holz und brach.
»Wir kommen überhaupt nicht vom Fleck!« schrie er. »Wir sind auf offener See, und wir kommen überhaupt nicht vom Fleck!«
Unter sich hörte er das Rauschen von Wasser, das sich gurgelnd durch den offenen Laderaum wälzte; das Schiff neigte sich zur Seite. Thod packte Morgon, als dieser hilflos über das Deck rutschte; eine Welle, die sich an der Seite des Schiffes brach, durchnäßte sie beide, und Morgon verschluckte sich mit dem kalten, bitter schmeckenden Wasser. Es gelang ihm aufzustehen, indem er sich mit einer Hand an Thod festhielt, und er warf seine Arme um den Mast, verzahnte seine Finger im Takelwerk. Als sein Gesicht nahe dem des Harfners war, schrie er heiser: »Was waren das für Leute?«
Wenn der Harfenspieler ihm eine Antwort gab, so hörte er sie nicht. Thods Gestalt verschwamm in einem Wasserschwall; der Mast brach mit einem Krachen, das Morgon durch Mark und Bein ging, und die gestreiften Segel, mit Takelwerk beschwert, rissen ihn aus seiner Umklammerung und zogen ihn ins Meer.
Kap. 3
Hingeworfen wie ein Bündel Lumpen inmitten von Garben ausgedörrten Seetangs erwachte er, das Gesicht in den
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