Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel
Frauen, die ihm mit feiner, verwirrender Höfischkeit begegne- ten und ihm von einem Land sprachen, das er nicht kannte. Nur Astrins Gesicht, das verschlossen und unzu-gänglich war, gab ihm Sicherheit; und der Harfner, der nach dem Nachtmahl aufspielte, wob eine Weise, die wie der Friede im unablässigen Spiel der Winde war, die Morgon erinnerte. In der Nacht, allein in einer Kammer, die so groß war wie Astrins Haus, lag er wach und lauschte dem hohl tönenden Gesang des Windes, während er blind nach seinem Namen suchte.
Bei Tagesanbruch zogen sie weiter, ritten durch morgendlichen Dunst, der sich in wogenden Schleiern drehte und sich in Perlen auf die schwarzen, nackten Bäume der Obstpflanzungen setzte. Der Dunst wurde zu Regen, der sie den ganzen Weg von Umber bis Caerweddin begleitete. Morgon, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, spürte, wie die Feuchtigkeit sich wie Moder in seine Knochen setzte. Er nahm es beiläufig hin und war auch der Sorge Astrins nur verschwommen gewahr; da war etwas, das auf seltsame Weise an seinen Gedanken zog und zerrte, als wollte es ihn aus der Finsternis seiner Unwissenheit reißen. Schließlich aber, von einem hartnäckigen Husten geplagt, der die halbverheilte Wunde in seiner Seite unaufhörlich reizte, so daß sie nach einer Weile wie Feuer brannte, mußte er doch anhalten. Der Harfner des Erhabenen legte ihm eine Hand auf die Schulter. Morgon, der in das stille, herbe Antlitz blickte, hielt plötzlich den Atem an, doch der flüchtige Blitz des Wie- dererkennens war schon erloschen.
Astrin kam zu ihnen zurückgeritten. Sein Gesicht war gespannt und unzugänglich, als er kurz sagte: »Wir sind beinahe da.«
Das jahrhundertealte Haus der Könige von Ymris stand nicht weit vom Meer an der Mündung des Flusses Thul, der, von einem der sieben Seen Lungolds kommend, in östlicher Richtung quer durch Ymris floß. Handelsschiffe waren in seinen tiefen Wassern verankert; an der Mündung des Flusses lag wie eine Schar farbenfroher Vögel eine Flotte von Schiffen mit den scharlachroten und goldgelben Segeln von Ymris. Als sie über die Brücke ritten, flog ein Bote, der sie gesichtet hatte, eilends durch das offene Tor einer weitläufigen Steinmauer. Jenseits, auf einem Hügel, erhob sich das Haus, das Galil Ymris erbaut hatte, Fassade, Seitenflügel und Türme belebt von prächtigen vielfarbigen Bildern und Ornamenten, die aus dem leuchtenden Gestein der Erdherren zusammengesetzt waren.
Sie ritten durch das Tor, eine gepflasterte Straße zu einer Anhöhe hinauf. Schwere Eichentore in einer zweiten Mauer wurden ihnen geöffnet; sie gelangten in einen Hof, wo Knechte sich ihrer Pferde annahmen und ihnen schwere Pelzumhänge um die Schultern legten. Schweigend schritten sie durch den großen Hof, während der Regen ihnen in Böen in die Gesichter peitschte.
Der Königssaal, aus glattem, dunklem, glitzerndem Gestein erbaut, hatte einen riesigen Kamin, der die Hälfte einer Längswand einnahm. Tropfnaß und fröstelnd eilten sie zum Feuer, merkten gar nicht, daß die Männer rundum plötzlich verstummten und sie reglos anstarrten. Der Klang schneller Schritte auf dem Stein veranlaßte sie, sich umzudrehen.
Heureu Ymris, mager, grobknochig, das dunkle Haar von Re- gentropfen gesprenkelt, trat mit einem höfischen Neigen seines Kopfes auf Morgon zu und sagte: »Willkommen in meinem Haus. Vor nicht allzulanger Zeit sah ich Euren Vater. Rork, Thod, ich stehe in Eurer Schuld. Astrin - « Er brach ab, als schmeckte das Wort fremd oder bitter in seinem Mund.
Astrins Gesicht war so fest verschlossen wie eines von Yrths Büchern; seine weißen Augen zeigten keine Regung. Er wirkte fehl am Platz in dem prächtigen Saal mit seinem farblosen Gesicht und dem zerschlissenen Gewand. Morgon, auf einen Vater angesprochen, von dem er nichts wußte, wünschte vergeblich und verzweifelt, er und Astrin wären wieder dort, wo sie hingehörten, in dem kleinen Haus am Meer. Er ließ seinen Blick über die schweigenden, neugierigen, fremden Gesichter im Saal schweifen. Und da fing etwas am Ende des langen Saals sein Auge ein; blitzend winkte es ihm zu, so daß er den Kopf drehen mußte wie unter einer Berührung.
Ein Laut brach aus ihm hervor. Im flackernden Fackelschein stand eine große Harfe auf dem Tisch. Es war ein wunderbares, altes Instrument. Gold flocht sich in helles, glänzendes Holz, das mit vollen Monden und schmalen Mondsicheln aus Elfenbein eingelegt war. Auf ihrer Stirnseite, zwischen
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