Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel
für die Morgol - süße, wortlose Weisen vom alten Königshof von An, Balladen aus Ymris und Osterland. Tiefes Schweigen breitete sich aus, als er endete. Außer der Morgol und ihrer Tochter, Morgon und Thod war niemand mehr im Raum. Die Kerzen waren weit heruntergebrannt. Widerstrebend stand die Morgol auf.
»Es ist spät«, sagte sie. »Wenn Ihr mir morgen sagt, was Ihr braucht, werde ich Eure Vorräte auffüllen, so daß Ihr in Osterland nicht haltzumachen braucht.«
»Danke«, erwiderte Thod und schob den Riemen seiner Harfe über seine Schulter. Einen Moment lang sah er El schweigend an, und sie lächelte. »Ich würde gerne bleiben«, fügte er leise hinzu. »Ich werde zurückkommen.«
»Ich weiß.«
Sie führte sie wieder durch das fließende Gewirr von Gängen zu ihrem Zimmer. Wasser und Wein und weiche Decken warteten auf sie; das Feuer brannte ruhig, verströmte einen reinen, flüchtigen Duft.
Als El sich zum Gehen wandte, sagte Morgon: »Darf ich einige Briefe für die Händler bei Euch hinterlassen? Mein Bruder hat keine Ahnung, wo ich mich aufhalte.«
»Natürlich. Ich werde Euch Papier und Tinte bringen lassen. Und darf ich Euch um einen Gefallen bitten? Darf ich Eure Harfe sehen?«
Er nahm das Instrument aus seiner Hülle. Sie drehte es in den Händen, berührte die Sterne, zeichnete das feine Netzwerk von Gold nach, die weißen Monde.
»Ja«, sagte sie leise. »Ich dachte mir, daß sie es sein müßte. Thod erzählte mir vor einiger Zeit von Yrths Harfe, und als ein Händler im vergangenen Jahr diese Harfe in mein Haus brachte, war ich sicher, daß Yrth sie gebaut hatte - eine verzauberte Harfe mit stummen Saiten. Ich hätte sie so gern gekauft, aber sie stand nicht zum Verkauf. Der Händler sagte mir, sie wäre einem Mann in Caithnard versprochen.«
»Was für einem Mann?«
»Das sagte er nicht. Warum? Morgon, was habe ich gesagt, um Euch zu verstimmen?«
»Mein Vater - ich glaube, mein Vater kaufte diese Harfe für mich. Im letzten Lenz in Caithnard, kurz bevor er ums Leben kam. Wenn Ihr Euch also erinnern könnt, wie der Händler aussah, oder wenn Ihr seinen Namen herausfinden könntet - «
»Ich verstehe.« Ihre Hand schloß sich behutsam um seinen Arm. »Ja, ich verstehe. Ich werde seinen Namen für Euch ausfindig machen. Gute Nacht.«
Lyra bezog ihren Platz an der Tür, als die Morgol ging. Sie trug einen kurzen, dunklen Kittel und hielt ihren Speer reglos m der Hand, während sie ihnen den Rücken zuwandte. Eine Dienerin brachte Papier, Federn, Tinte und Siegelwachs. Morgon setzte sich vor das Feuer. Lange Zeit starrte er in die Flammen, und die Tinte trocknete an seiner Feder; einmal murmelte er: »Was soll ich ihr sagen?« Dann begann er langsam zu schreiben.
Als er den Brief an Rendel endlich beendet hatte, schrieb er ein kurzes Wort an Eliard, versiegelte den Umschlag und legte sich in die Kissen. Seine Augen starrten in die Flammen, die miteinander verschmolzen und wieder auseinanderstrebten, und mit halbem Ohr nahm er die leise raschelnden Bewegungen Thods wahr, während dieser ihre Sachen durchsah. Schließlich hob er den Kopf und sah den Harfner eindringlich an.
»Thod - habt Ihr Ghisteslohm gekannt?«
Thods Hände wurden still. Dann begannen sie wieder, sich zu regen, lösten einen Knoten an einem Schlafsack. Ohne aufzublicken, sagte er: »Ich habe nur zweimal mit ihm gesprochen, sehr kurz. Er war eine ferne, Ehrfurcht einflößende Gestalt in Lungold, damals, in den Jahren vor dem Verschwinden der Zauberer.«
»Ist Euch jemals der Gedanke gekommen, Großmeister Ohm könnte der Gründer von Lungold sein?«
»Es gab keinen Hinweis, der mich auf einen solchen Gedanken hätte bringen können.«
Morgon streckte den Arm aus, um mehr Holz aufzulegen; die Schatten, die wie feine Gespinste an den Wänden hingen, waberten und beruhigten sich wieder.
»Ich möchte wissen«, murmelte er, »warum Morgol nicht durch Ohm hindurchsehen konnte. Ich weiß nicht, aus welchem Land er kommt; es kann sein, daß er wie Rood mit Zauberkraft im Blut geboren wurde... Ich habe nie daran gedacht, ihn zu fragen, wo er geboren wurde. Er war ganz einfach Großmeister Ohm, und es schien, als wäre er immer schon in Caithnard gewesen. Wenn El ihm sagte, daß sie ihn für Ghisteslohm hält, würde er vermutlich lachen. Nur habe ich ihn nie lachen sehen. So lange Zeit ist vergangen seit der Zerstörung von Lun- gold; von den Zauberern wurde seitdem nichts mehr gehört. Keiner von ihnen kann mehr am
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