Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel
Mit einem Aufschluchzen und einem Fluch zog Morgon den Arm nach rückwärts und warf.
Kap. 7
»Ich reise nach Hause«, sagte Morgon. »Ich verstehe Euch nicht«, entgegnete Lyra. Sie saß neben ihm am Feuer, einen leichten, karminroten Umhang über ihrem Kittel. Ihr Gesicht war grau von Schlaflosigkeit. Der Speer lag locker unter ihrer Hand an ihrer Seite. Zwei Wächterinnen standen, einander den Rücken zugewandt, vor der Tür. Die Spitzen ihrer Speere blitzten im morgendlichen Sonnenlicht.
»Er hätte Euch getötet, wenn Ihr ihn nicht getötet hättet. So einfach ist das. Es gibt doch in Hed gewiß kein Gesetz, das Euch verbietet, einen anderen in Notwehr zu töten?«
»Nein.«
»Warum dann?«
Sie seufzte, die Augen auf sein Gesicht gerichtet, während er in die Flammen starrte. Seine Schulter war geschient und verbunden; sein Gesicht war unbewegt, so zugesperrt wie ein wortverschlüsseltes Buch.
»Seid Ihr zornig, weil Ihr im Haus der Morgol nicht gut bewacht wurdet? Morgon, ich habe die Morgol heute morgen gebeten, mich wegen dieser Sache ablösen zu lassen, aber sie weigerte sich.«
Endlich hatte sie seine Aufmerksamkeit.
»Es bestand kein Anlaß für Euch, das zu tun.«
Sie hob leicht das Kinn. »Oh, doch, Anlaß gab es genug. Nicht nur habe ich untätig dagestanden, während Ihr um Euer Leben kämpftet, ich habe auch gefehlt, als ich endlich versuchte, den Gestaltwandler zu töten. Ich fehle nie.«
»Er zauberte eine Glasglocke der Stille; es war nicht Eure Schuld; Ihr hörtet einfach nichts.«
»Ich habe versäumt, Euch zu schützen. Auch das ist einfach.«
»Nichts ist einfach.«
Er lehnte sich in die Kissen zurück und verzog ein wenig das Gesicht; seine Brauen krausten sich wieder. Er war still; sie wartete, fragte dann zaghaft: »Seid Ihr dann vielleicht auf Thod zornig, weil er bei der Morgol war, als Ihr überfallen wurdet?« »Thod?« Verständnislos sah er sie an. »Natürlich nicht.«
»Was erzürnt Euch dann?«
Er starrte auf den mit Wein gefüllten silbernen Becher, den sie ihm hingestellt hatte.
Eine Zeitlang schwieg er.
Schließlich kamen die Worte langsam und schmerzhaft über seine Lippen, als hätte er Mühe, sie hervorzulocken.
»Ihr habt das Schwert gesehen.«
Sie nickte. »Ja.« Die steile Falte der Verwirrung zwischen ihren Brauen vertiefte sich. »Morgon, ich bemühe mich, Euch zu verstehen.«
»Das kann doch nicht schwer sein. Irgendwo in diesem Reich wartet ein gestirntes Schwert darauf, daß der Sternenträger es in Besitz nimmt. Und ich weigere mich, es in Besitz zu nehmen. Ich reise nach Hause. Dort gehöre ich hin.«
»Aber, Morgon, es ist doch nur ein Schwert. Ihr braucht es ja gar nicht zu benützen, wenn Ihr nicht wollt. Außerdem kann es sein, daß Ihr es braucht.«
»Ich werde es ganz sicher brauchen.« Seine Finger umschlossen verkrampft den silbernen Becher. »Es ist unvermeidbar, daß ich es brauchen werde. Der Gestaltwandler wußte es. Ja, er wußte es. Er lachte mich aus, als ich ihn tötete. Er wußte genau, was ich dachte, wo doch keiner außer dem Erhabenen es hätte wissen können.«
»Was dachtet Ihr denn?«
»Daß kein Mann den Namen annehmen kann, den die Sterne auf diesem Schwert ihm geben, und dennoch die Landherrschaft von Hed behalten kann.«
Lyra schwieg. Das zaghafte Sonnenlicht trübte sich, graue Schatten hüllten das Zimmer ein; windgepeitschte Blätter klopften wie Finger an die Fensterscheiben.
Schließlich sagte sie, die Hände fest um die Knie geschlungen: »Ihr könnt doch all dem nicht einfach den Rücken kehren und nach Hause reisen.«
»Doch, das kann ich.«
»Aber Ihr - Ihr seid auch ein Rätselmeister - , Ihr könnt nicht kurzerhand aufhören, Rätsel zu lösen.«
Er sah sie an.
»Doch, das kann ich. Ich kann alles, was ich tun muß, um mir den Namen zu bewahren, mit dem ich geboren wurde.«
»Wenn Ihr nach Hed zurückkehrt, wird man Euch dort töten. In Hed habt Ihr nicht einmal Bewacher.«
»Wenigstens sterbe ich dann in meinem eigenen Land und werde in der Erde meiner Heimat begraben.«
»Wieso ist das so wichtig? Wie kommt es, daß Ihr in Hed dem Tod ins Auge sehen könnt, den Ihr in Herun fürchtet?«
»Es ist nicht der Tod, den ich fürchte - ich fürchte mich davor, um eines Namens und eines Schwerts und einer Bestimmung willen, die ich nicht wählte und die ich nicht annehmen werde, alles zu verlieren, was ich liebe. Lieber möchte ich sterben, als die Landherrschaft verlieren.«
»Und wir?« meinte
Weitere Kostenlose Bücher