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Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel

Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel

Titel: Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia A. McKillip
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betrachtete Morgon gedankenvoll. Als hätte er Morgons Frage nicht gehört, sagte er: »Ihr wollt nicht töten. Es gibt andere Arten der Verteidigung. Ich könnte Euch lehren, in die Seele eines Menschen hineinzublicken, durch Trug und Täuschung hindurchzusehen, die Tore Eurer eigenen Seele und Eures eigenen Geistes gegen fremdes Eindringen zu verschließen. Ihr seid so verletzlich wie ein Tier ohne seinen Winterpelz. Ich könnte Euch lehren, den Winter selbst zu überlisten.«
    Morgon sah ihn an. Etwas rührte sich in ihm, der Schimmer eines Gedankens, der an die Oberfläche wollte.
    »Ich verstehe nicht«, sagte er, obwohl ihm das Verständnis schon dämmerte.
    »Ich habe Euch gesagt«, versetzte Har, »daß Ihr in meinem Haus niemals unbesehen ein Versprechen geben solltet. Ich glaube, daß Suth hinter dem Grimberg mit den Vestas durch die
    Lande zieht. Ich will Euch lehren, die Gestalt der Vesta anzunehmen; frei wie eine Vesta werdet Ihr Euch durch den Winter bewegen, und doch werdet Ihr keine Vesta sein. Euer Körper und Eure Instinkte werden die einer Vesta sein, Euer Geist und Eure Seele jedoch werden Eure eigenen sein. Mag sein, daß Suth sich vor dem Erhabenen selbst verborgen hält, Euch aber wird er sich zeigen.«
    »Har«, erwiderte Morgon mit einer unruhigen Bewegung, »ich habe keine Begabung, die Gestalt zu wechseln.«
    »Woher wißt Ihr das?«
    »Es ist einfach so. Nie wurde in Hed ein Mensch mit einer solchen Begabung geboren.« Wieder packte ihn Unruhe, während er das Gefühl hatte, ihm wüchsen vier kraftvolle Läufe, die dazu geschaffen waren, wie der Wind über den Schnee zu fliegen, und ein Kopf, der schwer trug am Gewicht der goldenen Hörner; während er sich vorstellte, wie es wäre, keine Hände zum Greifen zu haben, keine Stimme zum Sprechen. Ein wenig zaghaft warf Hugin ein: »Es ist etwas Wunderbares - eine Vesta zu sein. Har weiß es.«
    Morgon sah vor sich die Gesichter Grim Eichenlands und Eli- ards, die ihn verständnislos und voller Verblüffung anstarrten: Was kannst du? Wozu soll das gut sein? Er spürte, daß Har ihn beobachtete, und er sagte leise, widerstrebend: »Ich will es versuchen, weil ich es Euch versprochen habe. Aber ich bezweifle, daß es gehen wird. Alle meine Instinkte lehnen sich dagegen auf.«
    »Eure Instinkte!« Die Augen des Königs glühten plötzlich feurig wie die eines Tieres, so daß Morgon erschrak. »Ihr seid starrköpfig. Da seid Ihr nun tausend Meilen weiter von Eurem Land entfernt als je ein Fürst von Hed vor Euch, Euren Blick auf den Erlenstern-Berg gerichtet, eine Harfe und einen Namen in Eurem Besitz, und noch immer klammert Ihr Euch an Eure Vergangenheit wie ein Nestling. Was wißt Ihr von Euren Instinkten? Was wißt Ihr über Euch selbst? Wollt Ihr uns alle verdammen mit Eurer Weigerung, Euch selbst anzusehen und dem, was Ihr seht, einen Namen zu geben?«
    Morgons Hände umklammerten die Kante der Bank. Er strengte sich an, seine Stimme ruhig zu halten, als er antwortete.
    »Ich bin ein Landherrscher, ein Rätselmeister und ein Ster- nenträger - in dieser Reihenfolge.«
    »Nein. Ihr seid der Sternenträger. Ihr habt keinen anderen Namen, keine andere Zukunft. Ihr habt Gaben, die kein Landherrscher von Hed je sein eigen nannte; Ihr habt Augen wie Seen, einen Geist, der Gedanken spinnt. Eure Instinkte führten Euch fort aus Hed, noch ehe Euch selbst bewußt war, weshalb; fort aus Hed nach Caithnard, nach Aum, nach Herun, nach Osterland, dessen König kein Mitleid mit jenen kennt, die vor der Wahrheit fliehen.«
    »Ich wurde geboren - «
    »Ihr wurdet als der Sternenträger geboren. Der Weise kennt seinen eigenen Namen. Ihr seid kein Tor; Ihr seid so fähig wie ich, zu spüren, welches Chaos sich unter der Oberfläche unseres Daseins regt. Laßt die Vergangenheit ruhen; sie ist ohne Bedeutung. Ihr könnt ohne die Landherrschaft leben, wenn Ihr müßt; sie ist nicht wesentlich - «
    »Nein!« Morgon war aufgesprungen.
    »Ihr habt einen äußerst fähigen Landerben, der brav zu Hause bleibt und das Land bestellt, anstatt dunkle Rätsel zu lösen. Euer Land kann ohne Euch existieren; aber wenn Ihr vor Eurer eigenen Bestimmung flieht, so werdet Ihr uns alle vernichten.«
    Er brach ab. Ein trocknes Schluchzen ohne Tränen war Morgon unwillkürlich über die Lippen gekommen. Aias und Hu- gins Züge schienen im Licht wie aus weißem Stein gemeißelt; nur das Gesicht des Königs regte sich im Flackern des Feuers, fremdartig, weder Menschenantlitz noch

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